Die aufgrund der Wiederholungswahl 2023 verkürzte Amtszeit der SchwarzRoten Koalition hat ihre Halbzeit kürzlich überschritten und aus diesem Grund habe ich mich gefragt, was denn eigentlich die Bilanz vieler Entscheidungen der Koalition im Bildungs-, Familien- und Jugendressort der letzten bald 2 Jahre ist. Was sind die erkennbaren großen Linien, welche Schwerpunkte setzte die Koalition, für welche Familien und Kinder/Jugendliche lohnt sich diese Koalition und für wen nicht? Hierum soll es in der nun folgenden Blogreihe gehen.

Als ich im zurückliegenden Dezember auf die Idee kam, mal „zurückzublicken“, war der Gedanke „Mach mal 5 Themen, bei denen es jetzt besser läuft und 5, bei denen es die Koalition noch besser machen muss.“ Dass das den Themen nicht ansatzweise gerecht werden kann, merkte ich schon beim ersten Anlauf (hätte ich mir aber auch vorher denken können) und seitdem gab es mehrere Neufassungen und diverse Überarbeitungen.

Was als Idee für eine einzelne Blogpost zum Jahresende begann, entwickelte sich zu einer Blogreihe, während derer Erarbeitung ich auch mir selbst ein paar Eingeständnisse machen musste:

1. Egal, wie sehr man es versucht: man kann nicht über Bildung schreiben, ohne gleichzeitig über den eigenen subjektiven Blick auf Bildung und Gesellschaft zu schreiben. Rein Deskriptiv funktioniert das nicht und insofern sind die folgenden Beiträge auch eine Einladung zur Debatte.

2. Es gibt keinen objektiven und umfassenden Blick auf Themen rund um „Bildung, Jugend und Familie“. Ich bemühe mich um eine möglichst umfassende Beschreibung und beziehe zahlreiche Perspektiven Dritter ein (und verweise in den Texten auf eine Vielzahl von Quellen), aber es bleiben sicherlich „blinde Flecken“, auf die ich mich gern aufmerksam mache lasse. Schreiben Sie mir!

3. Im Jahr 2025 über ein Thema zu denken und zu schreiben (Bildungspolitik), welches mittel- und langfristig angelegt sein muss, ist eine gedankliche und bisweilen auch emotionale Zumutung, wenn sich im Wochentakt „auf ganz großer Bühne“ Gewissheiten verschieben. Wenn die Frage, in welcher Zukunft die heutigen Kinder und Jugendlichen in fünf oder gar zehn Jahren leben werden, noch spekulativer erscheint, als vor beispielsweise zehn Jahren. Wenn auch die Frage, in welchem gesellschaftlichen und demokratischen Setting Bildungspolitik in ein paar Jahren agieren wird, immer spekulativer wird. Ich habe deshalb neben der Frage nach dem mittelfristigen Wirken aktueller Entscheidungen auch die Frage angelegt, was von dem, was die Koalition macht, jetzt bereits sinnvoll ist, oder eben auch nicht, welche Grundhaltungen sich abzeichnen und wie sich die aktuelle Berliner Bildungspolitik zu den gesellschaftlichen und demokratischen Herausforderungen und Debatten dieser Zeit positioniert.

4. Es ist je nach Thema und Setting oft hilfreich und sinnvoll, zwischen den Rollen des Vaters, des Elternvertreters, des interviewenden Podcasters, des Bloggers, oder des „interessierten Bürgers“ wechseln zu können. Das hilft mir hier aber überhaupt nicht. Am Ende lande ich immer wieder bei Punkt 1 dieser Aufzählung. Interessanterweise macht auch die Kombination dieser Rollen das eigene Denken nicht „objektiver“. Ich schreibe über die Senatspolitik und am Ende doch immer wieder aus meiner Perspektive. Es gab etliche Momente, in denen ich auf den „Löschen“-Knopf drücken wollte. Ich hab mich entschieden, es nicht zu tun. Vorhang auf!

Bestandsaufnahme

Die Koalition aus CDU und SPD und damit auch die jetzige Bildungssenatorin Günther-Wünsch haben 2023 ein Ressort übernommen, welches in einem in weiten (aber nicht allen) Teilen desaströsen Zustand ist. Je nach Teildisziplin und Unterrichtsfach erreichen 40-60% der Schülerinnen und Schüler eines Jahrgangs nicht einmal die Mindeststandards, die sie eigentlich erreichen müssten und jährlich verlassen etwa 8-10% der Jugendlichen die Schule ohne Abschluss.

  • Die Ausbildungsbetriebe stehen vor dem großen Problem, dass im Schnitt etwa 30% der Azubis ihre Ausbildung wieder abbrechen, zumeist aufgrund fehlender Berufsorientierung. Bei den Erststudierenden ist diese Abbruch- und Wechelquote in den ersten Semestern ähnlich hoch. Den Schaden haben nicht nur die Betriebe, sondern auch die Jugendlichen, für die ein solcher Abbruch häufig einen mehr oder weniger langen „Leerlauf“ bis zum Beginn des nächsten Ausbildungsjahres nach sich zieht.
  • Gleichzeitig schildern Ausbildungsbetriebe, dass viele Azubis heutzutage nicht mehr in der Lage sind, „ein Rechteck von einem Quadrat zu unterscheiden“. Jugendliche ohne Schul- und Berufsabschluss landen allzu häufig nahtlos im Sozialleistungssystem, aus dem sie (wenn überhaupt) nur mit allergrößten Mühen wieder herausfinden.
  • Grundschulen beklagen in erschreckend hohem Maße, dass Kinder eingeschult werden, die die sprachlichen und auch motorischen Fähigkeiten nicht besitzen, um einen guten Start hinlegen zu können.
  • Kinder und Jugendliche berichten seit Jahren über psychische Überlastung, städtische Begegnungsräume kämpfen aus den verschiedensten Gründen um ihr Überleben und die Stadt und ihre Verwaltung sind wenig familienfreundlich. Die Schulen klagen über Segregationen der Schülerinnen und Schüler in den verschiedensten und oft zeitgleich auftretenden Zusammenhängen: sozial, sprachlich, kulturell und bei der Bildungsorientierung der Elternhäuser. In diesen oft auch vom Schulsystem verstärkten Segregationen steckt Sprengstoff für Bildungschancen, aber auch die Gesellschaft insgesamt.
  • Das Schul- und Kitapersonal ist häufig überarbeitet und den Mitarbeitenden der Jugendhilfe und weiterer Bereiche geht es nicht anders. Die Bemühungen um Inklusion an Berliner Schulen haben schon bisher bei Weitem nicht ausgereicht, um den Anspruch erfüllen zu können, dass das System vom Kind aus denken muss und nicht, dass man das Kind am besten aus dem „Regelsystem“ raushält, wenn es sich nicht problemlos einfügt.

Die Herausforderungen für die mittlerweile nicht mehr ganz neu im Amt befindliche CDU-SPD-Koalition und Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) sind insofern riesig und erfordern Weichenstellungen. Von diesen gab es in den vergangenen rund zwei Jahren einige und auf diese möchte ich etwas genauer schauen. Ich werde dabei auch die jeweiligen Herausforderungen und die dazugehörige Kommunikation anschauen. Was wurde entschieden, wie wurde es kommuniziert, was wurde versprochen, was wurde gehalten, wo hält die Koalition ihren Koalitionsvertrag ein und an welchen Stellen hat sie ihn selbst gebrochen?

Herausgekommen ist eine mehrteilige Reihe, für die ich mir in den letzten 2 1/2 Monaten insbesondere die jüngste Schulgesetzesänderung und den Prozess dorthin, verschiedene Weichenstellungen bei der Sprachbildung, beim Schulbau und der Inklusion, den Koalitionsvertrag, die 2023er- und 2025er-Wahlprogramme von CDU und SPD, zahlreiche Parlaments- und Ausschusssitzungen und Presseberichte, aber auch etliche meiner Podcastepisoden mit Gästen aus der Berliner Bildungslandschaft nochmal „zu Gemüte geführt“ habe. Insofern ist es eine Zusammentragung von Recherchen der letzten rund zwei Jahre.

Die Themen (unter Anderem):

  • Was haben armutsbetroffene Kinder, Jugendliche und Familien vom Berliner Senat zu erwarten?
  • Wie läuft es mit der frühkindlichen Sprachförderung in den Kitas und Grundschulen?
  • Was machen CDU und SPD mit der schulischen Inklusion?
  • Schulplatzversorgung und Schulbau
  • Die Versorgung mit Kitaplätzen
  • Was macht die Koalition, um die beruflichen Perspektiven von Jugendlichen zu verbessern?
  • Die Neuregelung des Schulwechsels nach Klasse 6 – warum eigentlich und wie?
  • Perspektiven für geflüchtete Kinder und Jugendliche.
  • Die Koalition und (k)ein Religionsunterricht.
  • Schwarz-Rot und die politische Bildung.
  • Die Finanzierung der Schulen in freier Trägerschaft

Zu diesen und weiteren Themen wird es jeweilige Beiträge geben, in denen ich den ab dem nächsten Absatz folgenden Überblick vertiefe. Die Themen sind es wert, genauer drauf zu schauen und thematisch auch mal jeweils „nach links und rechts zu schauen“ und die Themenkomplexe hier und da auch zu verbinden. Meine Quellen sind jeweils angegeben und verlinkt.

Grundsätzliches zum Einstieg, Details in den folgenden Beiträgen

Was sich themenübergreifend festhalten lässt: die neue „Hausspitze“, also die Senatorin und ihre Staatssekretär:innen treten deutlich kommunikativer auf, als ihre jeweiligen Vorgänger:innen, haben „ihre Themen“ identifiziert und Prioritäten gesetzt und einen Teil der notwendigen Partner aktiv zur Beratung „ins Boot geholt“, beispielsweise die Kitaträger, Elternvertretungen und die Berliner Wirtschaft. Die Frage, inwieweit diese Beratungen am Ende auch Einfluss auf die tatsächliche politische Umsetzung hatten und haben, wird ebenfalls Teil dieser Blogreihe sein.

Die Senatorin und ihre Staatssekretär:innen, kennen ihre administrativen Spielräume, sind überwiegend „polithandwerklich“ gut aufgestellt und nutzen ihre administrativen Spielräume auch. Bisweilen auch zu sehr zulasten der öffentlich und parlamentarisch notwendigen Debatten. Die Koalition ist umtriebig, hat in vergleichsweise kurzer Zeit eine Schulgesetznovelle auf den Weg gebracht und zahlreiche Einzelvorhaben aufgegriffen. Die Dringlichkeit vieler Themen findet sich im Arbeitspensum der Koalition wieder, jedoch scheint die Umsetzung in Folge von Neuregelungen an vielen Stellen „mit der heißen Nadel gestrickt“, beispielsweise beim Übergangsverfahren von Klasse 6 zu 7 oder bei der Einführung des „11. Pflichtschuljahres“.

Neue Narrative

Was bisweilen auffällt: dass Gesetzgebung durch Narrativsetzung ersetzt wird. Dies beispielsweise, wenn die Bildungssenatorin an verschiedensten Stellen erklärt, die Schulen sollen sich mehr auf ihr „Kerngeschäft“ konzentrieren, welches darin bestünde, Kindern „Lesen, schreiben und rechnen“ beizubringen. Auf den ersten Blick mag dies angesichts der Schulleistungsdaten plausibel erscheinen, jedoch gibt es kein schulisches „Kerngeschäft“. Das Schulgesetz definiert einen Auftrag der Schulen und dieser ist ein ganzheitlicher Bildungsauftrag.

Auftrag der Schule ist es, alle wertvollen Anlagen der Schülerinnen und Schüler zur vollen Entfaltung zu bringen und ihnen ein Höchstmaß an Urteilskraft, gründliches Wissen und Können zu vermitteln.
Ziel muss die Heranbildung von Persönlichkeiten sein, welche fähig sind, der Ideologie des Nationalsozialismus und allen anderen zur Gewaltherrschaft strebenden politischen Lehren entschieden entgegenzutreten sowie das staatliche und gesellschaftliche Leben auf der Grundlage der Demokratie, des Friedens, der Freiheit, der Menschenwürde, der Gleichstellung der Geschlechter und im Einklang mit Natur und Umwelt zu gestalten.
Diese Persönlichkeiten müssen sich der Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit bewusst sein, und ihre Haltung muss bestimmt werden von der Anerkennung der Gleichberechtigung aller Menschen, von der Achtung vor jeder ehrlichen Überzeugung und von der Anerkennung der Notwendigkeit einer fortschrittlichen Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie einer friedlichen Verständigung der Völker.
Dabei sollen die Antike, das Christentum sowie weitere Weltreligionen und Weltanschauungen und die für die Entwicklung zum Humanismus, zur Freiheit und zur Demokratie wesentlichen gesellschaftlichen Bewegungen ihren Platz finden.“

§ 1 des Berliner Schulgesetzes

Man könnte diese Formulierung der Bildungssenatorin für eine sprachliche Ungenauigkeit halten. Die daraus abgeleiteten Entscheidungen beispielsweise bei der Lehrkräftezumessung der Schulen, dem Umgang mit Fragen der Inklusion, oder die Nachlässigkeit in der Wertschätzung demokratischer und Gesellschaftlicher Bildung sowohl innerhalb, als auch außerhalb der Schulen sprechen im Gesamtbild jedoch nicht für ein Versehen.

Die außergesetzliche Definierung eines „Kerngeschäfts“ ist im Ergebnis nichts Anderes, als ein implizites Abwerten vieler anderer Unterrichtsfächer, aber auch des sozialen Lernens, der Inklusion und der politischen, der gesellschaftlichen und der ethischen Bildung und Teilhabe der Kinder und Jugendlichen. Die Definierung eines „Kerngeschäfts“ ist etwas Anderes, als die dringend benötigte Förderung basaler Fähigkeiten in allen Jahrgangsstufen der Berliner Schule sowie in der frühkindlichen Bildung.

Seitens der Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) und der Koalition wird im Bezug auf diese Priorisierung immer wieder auf die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen verwiesen, die dringend gestärkt werden müsse. Die Zielstellung, die Ausbildungsfähigkeit der Jugendlichen zu erhöhen, bleibt richtig, aber was hilft eine Stärkung der Rechen-, Lese- und Schreibkompetenzen, wenn die Jugendlichen nicht in der Lage sind, sich kritisch mit ihrem Wissen, der Gesellschaft und ihrer Rolle in der Gesellschaft auseinanderzusetzen?

Wissenschaftssenatorin Dr. Czyborra (SPD) hat ihrerseits kürzlich verkündet, dass sie der Technischen Universität (TU) die geisteswissenschaftliche Fakultät zusammenstreichen möchte (FAZ), da man diese Disziplinen auch an anderen Berliner Universitäten belegen könne. Die Hochschullandschaft reagierte entsetzt, war die Einrichtung einer geisteswissenschaftlichen Fakultät an der TU eine bewusste Entscheidung nach dem Krieg, um technisches Wissen nicht entkoppelt von ethischen Fragestellungen zu vermitteln. Die Präsidentin der TU Berlin reagierte mit einer öffentlichen Stellungnahme und zeigte sich „Höchst irritiert“, auch, weil sie den Aussagen der Wissenschaftssenatorin entnähme, diese hielte die Fakultät für Geistes- und Bildungswissenschaften für „verzichtbar“.

Man könnte bezüglich des Blicks darauf, was Bildung sein soll, bei den Senatorinnen für Bildung (CDU) und Wissenschaft (SPD) Parallelen erkennen, gleichwohl die Begründungen sich teilweise unterscheiden.

Insbesondere in einer Zeit, in der der innere Frieden dieser Gesellschaft unter Druck steht, wie sehr lange nicht mehr, sind solche Verkürzungen im Bildungsauftrag oder beim grundsätzlichen Blick auf Bildungsfragen fatal. Es ist weiterhin erkennbar, dass die geschilderte Verkürzung des Auftrags der Schulen flankiert wird von Kürzungen in sehr vielen anderen Aufgabenbereichen der Berliner Bildungseinrichtungen. Diese können dadurch weniger relevant erscheinen, dienen sie zumindest auf den ersten Blick nicht dem Erlernen des „Lesens, schreibens und rechnens“ und dem Abdecken der Stundentafel.

Die AfD-Fraktion (!) im Berliner Abgeordnetenhaus hat der Schulgesetznovelle vom Sommer 2024 ausdrücklich mit der Begründung zugestimmt, dass sie es richtig findet, dass die Bedeutung der Gesellschaftswissenschaften (Geschichte, Geografie, Politik) beim Übergang von den Grund- zu den weiterführenden Schulen gemindert wird. Die Feststellung, dass das neue Schulgesetz diese Wirkung hat, ist so dramatisch richtig, wie auch symptomatisch für den aktuellen Senat und zieht sich durch gleich mehrere Themengebiete der Berliner Bildungspolitik. Diese fand in der Vergangenheit immer wieder die ausdrückliche Zustimmung der AfD-Fraktion.

Die Leistungserwartungen zum Übertritt an die Gymnasien wurden mit der Zielstellung erhöht, das Scheitern von Kindern am Gymnasium zu vermeiden. Die Förderung in den Grundschulen wurde jedoch nicht in gleichem Maße gestärkt bzw. wurden entsprechende Maßnahmen zu zögerlich angegangen. Die viel zitierten Fachleitungen Deutsch und Mathematik beispielsweie werden absehbar erst in einigen Jahren an allen Grundschulen vorhanden sein und auch dann erst eigene Schulentwicklungsprozesse anstoßen. Dies hat zur Folge, dass die Grundschulen weiterhin nicht ausreichend in der Lage sein werden, versteckte Potentiale der Kinder zu erkennen und zu fördern, während eine Gymnasialempfehlung vor Allem an diejenigen gehen dürfte, die „von zu Hause“ die nötige Unterstützung mitbringen.

Der vom Abgeordnetenhaus beabsichtigte Probeunterricht für Kinder, die sich am Gymnasium bewerben, ohne vorher eine Gymnasialempfehlung erhalten zu haben, wurde von der Verwaltung faktisch zum Aufnahmetest gestutzt. Dieser hat weniger zu einer Feststellung von Potentialen, als vielmehr zu einer Zunahme privat in Anspruch genommener Nachhilfeangebote im Vorfeld der Aufnahmeprüfungen geführt.

Angesichts einer Quote nicht bestandener Probetests von 97,4% wirft sich eine ganze Reihe an Fragen im Bezug auf die Konzeption der Tests, im Bezug auf die Kriteriensetzung, aber auch im Bezug auf die Objektivität von Grundschulnoten auf. Wie kann es sein, dass bei der Konzeption des Übergangsverfahrens pauschal davon ausgegangen wird, dass 100% der Grundschüler:innen, die mit einem Notenschnitt von 2,2 an das Gymnasium wechseln, einen guten Start hinlegen, während fast 100% der Kinder mit einem Schnitt von 2,3 durch den Aufnahmetest fallen? Diese komplett unterschiedliche Prognose aufgrund einer Zehntelnote erscheint nicht plausibel.

Die Verantwortung für eine gelingende Bildung wird durch die aktuellen Weichenstellungen wieder verstärkt zurück an die Elternhäuser delegiert und von deren Ressourcen abhängig gemacht, während der Druck auf Kinder und Elternhäuser auch in vielen weiteren Zusammenhängen zunimmt.

Dass die Berliner Bildungslandschaft mit ihrem breiten Bildungsauftrag schon vor 2023 häufig überfordert war, war seinerzeit schon deutlich festzustellen. Der aktuelle Senat forciert erkennbar eine Problemlösung durch eine Schmälerung des Bildungsauftrags und teilweise auch durch eine Delegierung von schulischen Aufgaben an Dritte bzw. durch eine Verschiebung des Versuchs der Problemlösung in den Bereich der beruflichen Bildung.

Erkennbar ist, dass schulische Ressourcen, insbesondere Personal, so gesteuert werden, dass ein Teil der Schulen gestärkt wird, während ein relevant großer Teil der Schülerinnen und Schüler im allgemeinbildenden System im Ergebnis faktisch aufgegeben wird, indem ihren Schulen die Ressourcen gekürzt werden. Die ohnehin schon bestehende Segregation der Schülerinnen und Schüler, aber auch ganzer Schulstandorte wird wieder erhöht. Ob das demnächst an den Start gehende „11. Pflichtschuljahr“ für Schülerinnen und Schüler ohne Abschluss und/oder Anschlussperspektive eine geeignete nachträgliche Hilfe sein wird, um den Weg in die Ausbildung und die Arbeitswelt zu finden, wird sich zeigen.

Statt die Inklusion im Sinne der UN-Menschenrechtskonvention und der daraus abgeleiteten UN-Behindertenrechtskonvention zu stärken, legt die Koalition die Rolle rückwärts ein, senkt Personalzumessungen für die Inklusion, verschiebt den Bau einer inklusiven Schwerpunktschule mit Verweis auf Sparzwänge, beginnt aber gleichzeitig Planungsprozesse für neue Förderzentren.

Es entsteht in der Gesamtschau aller Maßnahmen weiterhin der Eindruck, dass die Zahl der Gymnasiast:innen in Berlin grundsätzlich verringert werden soll. Dies lässt sich bislang noch nicht anhand von Zahlen belegen, da die Neuregelungen zum nächsten Schuljahr erstmals greifen, die ergriffenen Maßnahmen und getroffenen Entscheidungen weisen jedoch in diese Richtung. Wie die Integrierten Sekundarschulen mit einer dadurch erhöhten Zahl an Schüler:innen umgehen sollen, ist derzeit noch nicht erkennbar. Bisweilen wird schon diskutiert, Klassen aus Integrierten Sekundarschulen in Form von Filiallösungen in die Gebäude von Gymnasien auszulagern. Hierzu in folgenden Beiträgen mehr.

Was auffällt: die Koalition geht (beispielsweise mit dem Kitachancenjahr) notwendige und richtige Themen an, versteigt sich allerdings insbesondere CDU-seitig auch sehr häufig ins Überhöhen der tatsächlich gestellten Weichen und der absehbaren Wirkung dieser Entscheidungen. Dies beispielsweise, wenn der Regierende Bürgermeister in diesem Zusammenhang immer wieder von einer „Wiedereinführung der Vorschule“ spricht (die es nicht ist und die auch eine Grundgesetzänderung bräuchte), oder wenn die CDU-Fraktion sich im Abgeordnetenhaus mit Bezug auf die jeweiligen Übergänge von Kitas, Grundschulen, weiterführenden Schulen und der beruflichen Bildung dafür lobt, „erstmals die gesamte Bildungskette in den Blick genommen“ zu haben.

Die Koordinierung der jeweiligen Übergänge zwischen Trägern frühkindlicher Bildung, Schulen und den Oberstufenzentren wurde zwar nachjustiert, sie ist aber keine Erfindung der jetzigen Koalition. In den Darstellungen der Koalition fehlt immer wieder der Hinweis, dass einige der getroffenen Entscheidungen erst in mehreren Jahren wirksam werden (können).

Um die Sprachkompetenzen von Kindern zu verbessern, wurde das bereits oben erwähnte und vom Senat so genannte „Kitachancenjahr“ als Erweiterung bestehender Formate konzipiert. Dieses adressiert diejenigen 7% der Berliner 3 bis 6-Jährigen, die vor der Einschulung keine Kita besuchen. Dies ist insbesondere sinnvoll, um zu vermeiden, dass Kinder direkt zu Beginn der späteren Schullaufbahn aufgrund von Sprachproblemen keinen Anschluss finden. Um dem Problem fehlender Sprachkompetenzen unter Berliner Kindern und Jugendlichen aber in der vollen Breite (rund 40% der Grundschüler:innen erreichen nichtmal die Mindeststandards) gerecht zu werden, wird auch eine Ausweitung der Sprachförderangebote insbesondere an den Grundschulen, aber auch an den weiterführenden Schulen benötigt. Schritte in diese Richtung wurden unternommen, diese werden aber bereits absehbar nicht ausreichen.

Auf verwaltungsadministrativer Ebene arbeitet die Senatorin (beispielsweise bei der Einrichtung der flexiblen Schulbudgets) an Entbürokratisierungen, allerdings ist auch erkennbar, dass allein Verwaltungssteuerung nicht reichen wird. Wenn sich die Diskussion über den Umgang mit den flexiblen Schulbudgets in einer Schulkonferenz „vor Ort“ um die Frage dreht „Klassenfahrtskosten für Lehrkräfte oder das Lernheft für Mathematik?“, dann reichte die Frage nach einer Flexibilisierung des Budgets nicht aus, sondern dann hätte auf politischer Ebene die Frage diskutiert werden müssen, wie beides finanziert werden kann.

Es ist immer wieder zu beobachten, dass die SPD-geführte Sozialverwaltung Projekte und Träger „rettet“, die aus dem Haushalt der CDU-geführten Bildungsverwaltung gestrichen wurden. Das sorgt bisweilen für ein vorübergehendes Aufatmen bei den Trägern der betreffenden Angebote, es zeugt aber nicht von einer Abstimmung zwischen den Ressorts und ein ernstzunehmendes Konzept, das auf Dauer funktionieren kann, ist das auch nicht. Im Bereich der Demokratiebildung regieren die Koalitionspartner bisweilen offen und öffentlich gegeneinander.

Obwohl der Regierende Bürgermeister noch zu Beginn seiner Amtszeit mehrfach öffentlich verkündet hat, bei der Bildung würde nicht gespart, werden im Bildungshaushalt gewaltige Summen gekürzt. Die Bildungssenatorin erklärte hierzu immer wieder, es gäbe einen „Konsolidierungsdruck“ (bspw. im Plenum des Abgeordnetenhauses).

Dass die Senatsparteien Anstrengungen unternähmen, den Konsolidierungsdruck durch Einnahmeerhöhungen (beispielsweise durch das Schließen von Steuerschlupflöchern über eine Bundesratsinitiative) zu verringern, ist nicht hinreichend erkennbar. Dass sich beispielsweise die Vonovia durch „Shared deals“ im zurückliegenden Jahr 900 Mio. Euro Steuern an das Land Berlin sparen konnte, während nun bei vielen Angeboten der Bildung, der Kultur und im Sozialen gespart wird, war auch Thema auf den jüngsten Demonstrationen gegen die Sparpläne des Senats.

Das Argument, dass der prozentuale Sparanteil in der Bildungsverwaltung im Vergleich zu anderen Verwaltungen niedriger ausfällt, muss kritisch hinterfragt werden. Die Senatorin und die Koalition stellen diesen Punkt immer wieder heraus, um darzustellen, dass man bei der Bildung um einen zurückhaltenden Sparkurs fahren würde. Faktisch ist es jedoch so, dass ein im Vergleich überdurchschnittlich großer Teil des Haushalts der Bildungsverwaltung für Personalkosten gebunden ist (insbesondere für Lehrkräfte und weiteres schulisches Personal), bei dem keine Einsparungen möglich sind. Die Kürzungen fallen deshalb sehr schnell auf diejenigen Angebote zurück, die zumeist von freien Trägern gestaltet werden und die derzeit immer wieder Teil der Presseberichterstattung sind: Schulsozialarbeit, Jugendarbeit, Extremismusprävention, Antisemitismusbekämpfung und Vieles mehr.

Es wird zunehmend erkennbar, dass unter Schwarz-Rot insbesondere Armutsbetroffene (etwa 25% der Berliner Kinder und Jugendlichen), Kinder aus bildungsfernen Haushalten, Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarfen und Kinder mit Fluchtgeschichte diejenigen sind, die sich bei der „Versorgung“ mit ihrem Recht auf Bildung „hinten anstellen“ müssen. Während beispielsweise Schulen, die sich sehr um die Inklusion bemühen, mit Stellenstreichungen rechnen müssen, erhalten grundständige Gymnasien für ihre fünften und sechsten Klassen (nur für sich genommen ist diese Entscheidung sehr sinnvoll) künftig mehr Lehrkräfte über die Personalzumessung.

Diese Entscheidungen wurden unabhängig voneinander getroffen und unterschiedlich begründet. In der Gesamtwirkung stellt der Senat aber auch an dieser Stelle die Interessen von Kindern gegeneinander und benachteiligt dabei diejenigen, die ohnehin schon benachteiligt sind und benachteiligt werden. Diese sehr politischen Weichenstellungen werden von der Koalition nicht vorab politisch diskutiert, sondern auf dem Verwaltungsweg via Stellenzumessung durchgesetzt. Die SPD positioniert sich hierbei immer wieder gegen Entscheidungen der CDU-Bildungssenatorin.

Auch, dass die Koalition die jüngste Schulgesetzänderung gegen den Widerspruch beinahe sämtlicher angehörter Fachverbände mit lediglicher Zustimmung der in der Tendenz ohnehin schon sozial „nach oben“ segregierten Gymnasien durchgesetzt hat, ist ein weiteres Beispiel für diese Schwerpunktsetzung. Hierzu in einem Folgebeitrag mehr.

Die Koalition und die Bildungssenatorin argumentieren häufig handwerklich-technisch, aber selten politisch, gleichwohl ihre Entscheidungen bisweilen hochpolitisch sind. Entscheidungen werden als „notwendig“ und „unideologisch“ kategorisiert, beispielsweise, weil die Haushaltskürzungen dazu zwingen würden, oder wenn die Finanzierung eines in diesen Zeiten dringend notwendigen religionenübergreifenden Kitaprojekts gestoppt wird, mit Verweis auf „Kitaeinzugsräume“.

Auch bei der politischen Bildung fällt eine (mitunter subtil daherkommende, aber weitreichende) neue Narrativsetzung neben dem gesetzlichen Auftrag auf. Dies beispielsweise, wenn die Bildungssenatorin im Abgeordnetenhaus erklärt, man müsse über die Landeszentrale für politische Bildung mehr Kontrolle bekommen, weil dies „auch im Sinne des Steuerzahlers“ sei. Die Landeszentrale ist jedoch nicht nur denjenigen verpflichtet, die Steuern zahlen, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern und es ist auch nicht die Aufgabe des Senats, eine „Kontrolle“ über die Arbeitserledigung der laut Gesetz unabhängigen Landeszentrale zu bekommen, die über die übliche Fachaufsicht hinausgeht.

In der Berliner Senatskoalition, insbesondere in der Berliner CDU, spiegelt sich in der Interpretation und im Umgang mit der politischen Bildung eine Entwicklung und Debatte, die auch auf der Bundesebene und in anderen Bundesländern zu beobachten ist. Auch auf der Berliner Landesebene reibt sich die CDU mit dem Koalitionspartner und der Zivilgesellschaft.

Mehr zu diesen und weiteren Themen in den kommenden Wochen hier auf dem Blog.

Beitragsfoto: Marco Fechner via Ideogram.ai