Nach 22 Jahren im Amt des Hauptgeschäftsführers der IHK Berlin gab Jan Eder zum 01. Januar 2025 den Staffelstab an seine Nachfolgerin Manja Schreiner weiter. Fast genauso lange, seit Februar 2005, moderierte er regelmäßig das „Wirtschaftspolitische Frühstück“ der IHK, in dessen Rahmen die Berliner Wirtschaft mit politischen Verantwortungsträgerinnen und -Trägern in den Austausch ging und auch weiterhin geht.

Als bisherige Gäste nannte Manja Schreiner in ihrer Begrüßungsrede unter Anderem Olaf Scholz, Friedrich Merz, aber auch Christian Lindner, den Regierenden Bürgermeister sowie viele Fachsenatorinnen und Fachsenatoren verschiedener Legislaturperioden. Am 15. Januar war Bildungs- Jugend- und Familiensenatorin Katharina Günther-Wünsch zu Gast und Jan Eder nahm das Mikrofon in diesem Rahmen letztmalig in die Hand.

Die wesentlichen Themen: Berufsorientierung, Unterrichtsqualität und die Ausbildungsreife der Auszubildenden.

Der Empfang war sehr herzlich. IHK-Präsident Stietzel begrüßte die Senatorin mit sehr lobenden Worten und hob ihre Bemühungen vor, Schülerinnen und Schüler und die Berliner Wirtschaft zusammenzubringen. Er erklärte, dass es mit bisher keiner Bildungssenatorin und keinem Bildungssenator eine derart enge Zusammenarbeit gegeben hätte und dass man insbesondere im Bereich der Berufsorientierung in „stark kooperativen Formaten“ zusammenarbeite. Die Senatorin „schließt die Schulen für uns auf“, so IHK-Präsident Stietzel.

Die IHK erhofft sich eine Stärkung der Begegnung mit Berufen und der beruflichen Orientierung in den allgemeinbildenden Schulen und auch Kitas und eine bessere Vorbereitung auf eine berufliche Laufbahn.

Warum sich dieser Bedarf aus ihrer Sicht ergäbe, schilderte die Senatorin in ihrer Rede, die der Podiumsdiskussion voranging:

  • 35% der Auszubildenden lösen ihre Ausbildungsverträge. Sehr viele von ihnen mutmaßlich wegen nicht hinreichender vorheriger beruflicher Orientierung (siehe auch das Podcastgespräch mit Marian Schreier von der IHK Berlin zum Thema).
  • Bei den Studierenden sei die Studienabbruchsquote bzw. die Quote der Studienrichtungswechsel ähnlich hoch.
  • 10% der Berliner Schülerinnen und Schüler eines jeden Jahrgangs verlassen die Schule in Berlin ohne Abschluss und/oder berufliche Anschlussperspektive. Diese Quote ist seit Jahren im Wesentlichen konstant hoch.

 

Die Koalition hat im Zuge der jüngsten Schulgesetznovelle ein sogenanntes „Elftes Pflichtschuljahr“ eingeführt, im Zuge dessen Jugendlichen ohne Anschlussperspektive u.A. eine vertiefte Berufsorientierung, aber auch Erfahrungen in Ausbildungsberufen ermöglicht werden sollen. Dieses „Elfte Pflichtschuljahr“ wird von den Oberstufenzentren angeboten und wird von der Berliner Wirtschaft auch finanziell unterstützt. Im Zuge dessen wurden auch Datenschutzgesetze geändert, um einen Datenaustausch zwischen den Schulen und den Jugendberufsagenturen zu ermöglichen, so dass Schülerinnen und Schüler nicht mehr „vom Radar verschwinden“ können.

In diesem Zusammenhang formulierte sie auch die Erwartungshaltung an die Jugendberufsagenturen, sich insbesondere um die Jugendlichen der Klassen 10 noch stärker zu bemühen. Bisher sei den Jugendberufsagenturen dies nach eigener Aussage häufig nicht möglich gewesen, da der Datenabgleich nicht möglich war.

Die Senatorin betonte in ihrer Rede, dass die Jugendlichen im Zusammenhang mit dem elften Pflichtschuljahr qualitativ gute Erfahrungen und Begegnungen mit den Betrieben bräuchten, insbesondere die, die in den zehn Jahren davor am System Schule gescheitert sind. Es müssten alle Anstrengungen unternommen werden, jeden, der arbeitsfähig ist, in den Ausbildungsmarkt zu integrieren.

Mit Bezug auf die jüngsten Ergebnisse der VERA-Vergleichsstudien stellte sie dar, dass rund 70% der Berliner Achtklässler:innen die Mindeststandards in Mathematik nicht erreichen. Rund 60% erreichen die Mindeststandards in Lesen und Rechtschreibung nicht. Ein Teilnehmer aus dem Publikum, dessen Betrieb viele Jugendliche ausbildet, stellte dar, dass man nicht mehr erwarten könne, dass die Auszubildenden „den Unterschied zwischen einem Rechteck und einem Quadrat kennen“, oder „mit dem kleinen Einmaleins“ flüssig umgehen können.

Einen kritischen Blick warf sie auf die Vielfalt der Angebote im Übergangssystem zwischen Schule und Ausbildung. Hier sieht sie viele Redundanzen und nicht hinreichende Kosten-Nutzen-Analysen. Dieses Übergangssystem müsse „entrümpelt“ werden, hierfür bräuchte sie aber auch „noch eine weitere Legislatur“ und sie stellte auch die Option in den Raum, in künftigen Koalitionsverhandlungen die berufliche Ausbildung in die Zuständigkeit des Bildungsressorts zu holen.

Die Berufliche Orientierung sei und bleibe aus ihrer Sicht trotz der Einführung des „Elften Pflichtschuljahres“ eine originäre Aufgabe der allgemeinbildenden Schulen bis Klasse 10. Um diese zu stärken, sollen die Betriebspraktika in der zweiten Hälfte der Legislatur erweitert werden, so dass künftig verpflichtende Praktika in den Klassen 9 und 10 zu absolvieren sind. Außerdem soll das „Landeskonzept berufliche Bildung“ verbindlicher vorangetrieben und das Fach Wirtschaft-Arbeit-Technik gestärkt werden. Ziel müsse sein, den Jugendlichen „haptische Erfahrungen“ mit den Betrieben zu ermöglichen, so dass diese künftig auch mittels Betriebspraktika herausfinden können, „was sie können, was sie wollen und welche Möglichkeiten es gibt“.

Mit Blick auf die unterschiedlichen Startbedingungen von Kindern nahm die Senatorin Bezug auf das „Kitachancenjahr“. Dies von der Koalition so genannte Teiländerung des Schulgesetzes bezieht sich auf eine Neufassung des §55 des Berliner Schulgesetzes. Kinder sind weiterhin verpflichtet, vor der Einschulung an einer Sprachstandfeststellung teilzunehmen und bei erkanntem Bedarf eine Sprachförderung in einer Kindertagesstätte oder einer Sprachfördereinrichtung teilzunehmen (siehe auch Podcastgespräche mit Staatssekretär Falko Liecke sowie FRÖBEL-Geschäftsführer Stefan Spieker), um gut vorbereitet eingeschult zu werden. Der zeitliche Umfang der Sprachförderung wurde im Vergleich zur vorherigen Regelung aber deutlich ausgeweitet und der Zugang soll künftig unbürokratischer gestaltet werden.

Von diesem „Kitachancenjahr“ erhofft sich die Koalition signifikant bessere Ausgangsbedingungen der Erstklässler:innen, damit diese erfolgreich in die Schule starten können. Die Quote der Kinder zwischen 3 und 6 Jahren, die derzeit keine Kita besuchen, liegt Berlinweit bei rund 7%, die Quoten schwanken jedoch zwischen den Bezirken. In Pankow beispielsweise liegt diese „Nichtbesuchsquote“ bei lediglich rund 3%, während sie in Spandau bei rund 15% liegt. Eines der Problem hierbei ist der Umstand, dass es sich dabei nach Einschätzung von FRÖBEL-Geschäftsführer Stefan Spieker häufig um diejenigen Kinder handelt, die die Förderung am dringendsten benötigen. Die Senatorin erhofft sich (siehe Podcastgespräch mit ihr hierzu), dass durch diese Neuregelung künftig 100% aller Kinder vor ihrer Einschulung eine Kita oder eine vergleichbare Einrichtung besucht haben werden.

Auf Nachfrage aus dem Publikum stellte sie dar, dass sie eine verpflichtende Einführung einer Vorschule befürworten würde, dass dies jedoch grundgesetzlich derzeit nicht möglich sei.

Weiterhin wurde seitens der Teilnehmenden die Frage in den Raum gestellt, wie die frühkindliche Bildung trotz der Sparvorgaben gefördert werden könne. Hierzu gibt es bereits einen „Runden Tisch“ mit Akteuren der frühkindlichen Bildung, der sich mit Qualitätsfragen, aber auch Betreuungsschlüsseln beschäftigt.

Derzeit ist die Zahl der Kinder, die in Berlin in Kitas angemeldet werden, rückläufig, da seit etwa 2019 weniger Kinder geboren wurden, als in den Jahren zuvor. Die Senatorin möchte den dadurch entstehenden Personalüberhang erklärterweise nutzen, um die Betreuungsschlüssel zu verbessern. Hier sind aber auch die Gespräche mit dem Finanzsenator noch nicht abgeschlossen.

An den Grundschulen sollen künftig verpflichtende Lesebänder eingeführt werden, also feste Zeitfenster, in denen die Schülerinnen und Schüler täglich lesen.

Noch vor dem Bruch der Ampelkoalition im Bund wurde das „Kitaqualitätsgesetz“ verabschiedet. Aus den sich hieraus ergebenden Förderungen durch Bundesmittel erhält das Land Berlin rund 170 Mio. Euro. Dieses Geld soll genutzt werden, um u.A. mehr so genannte Anleitungsstunden für Quereinsteigende zu ermöglichen. Bisher werden Quereinsteigende im Stellenplan wie voll ausgebildete Kräfte abgerechnet, was es beinahe unmöglich macht, gleichzeitig Anleiter:innen hierfür im Stellenplan abzubilden. Das Berliner Bildungsprogramm wird laut Senatorin überarbeitet. Hierin sollen die Schwerpunkte auf die Basiskompetenzen gelegt werden, die laut Senatorin die Sprachkompetenzen, soziale Kompetenzen und feinmotorische Fähigkeiten seien.

Die Senatorin kritisierte die Vorgängerkoalitionen und erklärte, „Bildungspolitik“ sei „zu lange mit Sozialpolitik verwechselt“ worden. Ein Verteilen von Ressourcen mit der „Gießkanne“ helfe nicht, da man die belasteten Kieze kenne. Die Hauptprobleme nach ihrer Einschätzung: Armut, Migration und Verdichtung. „Verdichtung“ meint, dass Kinder und Jugendliche zu Hause keinen ruhigen Arbeitsplatz haben und Schulen ihrerseits durch Raum- und Personalmangel keine alternativen Lern-/Arbeitsorte anbieten können.

Sie stellt eine gezielte Personalsteuerung für belastete Kieze in Aussicht. Die Personalzumessungsvorschriften der Schulen wurden jüngst geändert. Es wurde eine „Nachsteuerungsreserve“ geschaffen, mit der die bezirklichen Schulaufsichten einzelnen Schulen bei Bedarf zusätzliche Stellen einrichten können. Referendarinnen und Referendare sollen den Schulen noch gezielter zugewiesen werden.

Es war eine sehr informationsdichte Veranstaltung und es wurde deutlich, dass die Berliner Wirtschaft und die Bildungssenatorin sich bei der Lagebewertung und bezüglich der zu gehenden Schritte im Wesentlichen einig sind.

Jan Eder wurde vom Publikum am Ende der Veranstaltung mit stehendem Applaus verabschiedet.