Die politische Bildung der Bürgerinnen und Bürger ist in einer demokratischen Gesellschaft unverzichtbar. Einerseits zur Befähigung von Menschen, sich kritisch und kompetent in das Gemeinwesen und in demokratische Institutionen einzubringen und andererseits, um gesellschaftliche und politische Mechanismen und Wechselwirkungen zu verstehen. Gleichzeitig befindet sich staatlich organisierte politische Bildung immer in einem Spannungsfeld, da sie über jeden Zweifel erhaben sein muss, parteiisch gelenkt, oder parteiisch eingeschränkt zu sein.
Die Landeszentralen für politische Bildung und die Bundeszentrale für politische Bildung sind deshalb eigenständig agierende Institutionen, die u.A. ihre Programme eigenständig erstellen und ihre Partner und Träger politischer Bildung selbst aussuchen. Der Berliner Landeszentrale für politische Bildung ist ein Kuratorium an die Seite gestellt, welches aus Mitgliedern der Abgeordnetenhauses (anteilig nach Fraktionsstärke) besteht, welches aber lediglich eine beratende Funktion hat und welches auf eine Überparteilichkeit der Arbeit der Landeszentrale hinwirken soll.
Die Fachaufsicht (die die grundsätzliche Eigenständigkeit der Arbeit der Zentrale aber nicht einschränken darf) liegt in Berlin bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Geregelt ist das im Berliner Erwachsenenbildungsgesetz. Diese Fachaufsicht wird in Berlin, wie auch in anderen Bundesländern in der Regel auf ministerieller Referatsebene von Angestellten oder Beamten ausgeübt, die nicht unmittelbar der politischen Hausleitung unterstellt sind.
Und wenn man es weniger „Beamtendeutsch“ mag, kann man auch auf die Erfahrungen mit den letzten zwei deutschen Diktaturen zurückgreifen, um zum Ergebnis zu kommen, dass der Eindruck politischer Lenkung mittels Fachaufsicht gar nicht erst entstehen darf, wenn die Integrität der politischen Bildungsarbeit gewahrt bleiben soll. Auch vor diesem Hintergrund wurden die Landeszentralen so konzeptioniert, wie sie es heute sind.
Insofern benötigen Umstrukturierungen im Bereich der politischen Bildungsarbeit immer Fingerspitzengefühl, Transparenz und den Willen zum Konsens. Es darf nichtmal der Anschein entstehen, eine Landeszentrale würde politisch in ihrer Arbeit gelenkt.
Was ist nun passiert?
Die Senatorin und ihre Staatssekretärin und Staatssekretäre haben eine sogenannte „Organisationsverfügung“ verfasst und unterschrieben, die die Gründung einer Stabstelle festlegt. Diese soll die Fachaufsicht über die politische Bildung auch über die Arbeit der Landeszentrale hinaus in der Darstellung der Senatorin „bündeln“. Diese Stabstelle soll nach letzten Informationen direkt bei der Senatorin angegliedert sein. Kurz zuvor war die Rede davon, dass sie beim Staatssekretär für Jugend angegliedert werden solle. Zuletzt eskalierte die Debatte, die schon über den Sommer hinweg schwelte.
Das Ergebnis waren eine Petition mit mittlerweile deutlich über 20.000 Unterzeichnenden, heftige öffentliche Proteste, ein Zerwürfnis zwischen den Koalitionspartnern CDU und SPD, eine Resolution der Mitglieder von SPD, Grünen und Linken im Kuratorium der Landeszentrale gegen die Stimmen der CDU und heftig geführte Plenumsdebatten im Abgeordnetenhaus. In diesen wurde der CDU und ihrer Senatorin vorgeworfen, sie wollten die Eigenständigkeit der Landeszentrale untergraben und Einfluss auf Entscheidungen, wie die Auswahl von Trägern politischer Bildung und die Programme und Materialien der Landeszentrale nehmen. Die Senatorin ging im Plenum derart „rherotisch engagiert“ und unter Applaus von CDU und AfD bei gleichzeitiger Applausverweigerung vom Koalitionspartner mit Kritikerinnen und Kritikern ihres Vorhabens in die Debatte, dass sie von Parlamentspräsidentin Seibeld (CDU) darauf aufmerksam gemacht werden musste, dass für Ordnungsrufe an die Abgeordneten „die Parlamentspräsidentin und nicht der Senat“ zuständig sei (Link zur Plenumssitzung). Auch in der Opposition kochten die Emotionen hoch.
Der Historiker Wolfgang Benz konstatierte zuvor:
„In der Bildungsverwaltung unter Katharina Günther-Wünsch (CDU) ist man auf die Idee gekommen, die Landeszentrale für politische Bildung (LPB) an die Kandare zu nehmen und sie einem Kontrollorgan zu unterstellen: der neuen „Stabsstelle für politische Bildung und Demokratieförderung“, die ab Oktober ihre Arbeit aufnehmen soll. Wenn ihre Befugnisse tatsächlich so weit reichen, wie es der erste – höchst umstrittene – Organisationsplan der Bildungssenatorin vorsieht, dann wird sie zum Überwachungsapparat und zur Zensurbehörde der LPB. […] Besonders alarmierend ist, dass die Stellen nicht ausgeschrieben werden, um sachkundige Bewerber in Konkurrenz treten zu lassen, sondern von der Bildungssenatorin ernannt werden sollen. […] Dass hier eine Zensurbehörde geschaffen wird, zeigt nicht zuletzt die geplante Verfügung, dass Materialien, die von der Landeszentrale für politische Bildung herausgegeben werden, künftig von der Senatsverwaltung zu genehmigen sind. Das ist eine Beschädigung der Demokratie!“ (Link)
Starker Tobak!
Also bin ich dem mal näher „nachgegangen“, habe Pressematerial gesichtet, Telefonate geführt und mir die jüngsten Plenumssitzungen des Abgeordnetenhauses zum Thema angeschaut. Statt eines längeren Fließtextes beschränke ich mich auf eine Zusammenfassung von Zitaten der Koalitionsvertreterinnen und -Vertreter zum Thema. Ich glaube, dass in diesem Kontext nicht nur wichtig ist, was gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird. Die Statements der Opposition finden Sie hinter den Links am Ende dieses Beitrags. Diese hätten hier den Rahmen gesprengt. Bilden Sie sich bitte selbst einen Eindruck. Die Quellen der Zitate sowie die beiden betreffenden Plenumssitzungen des Abgeordnetenhauses verlinke ich ebenfalls.
„Die Landeszentrale soll in Zukunft „Initiativen“ der Stabsstelle umsetzen müssen. Zudem seien Jahresprogramm, die Förderung einzelner Träger sowie die Erstellung von Materialien „stets mit der Stabsstelle fachlich und inhaltlich abzustimmen“ und durch sie „mitzuzeichnen“. Die Landeszentrale sei darüber hinaus „auskunfts- und berichtspflichtig gegenüber der Stabsstelle“. Aus einem Artikel des Tagesspiegels, welchem die Organisationsverfügung vorliegt.
„Die Landeszentrale für politische Bildung ist in ihrer Unabhängigkeit gesetzlich abgesichert. Zu keinem Zeitpunkt darf die Politik den Eindruck erwecken, das Agieren der Landeszentrale einseitig politisch definieren zu wollen.“ Maja Lasic, SPD (Link)
„Es geht hier um Steuerung und Koordination und ja: auch um Kontrolle […] im Sinne der Nutzerinnen der Landeszentrale und ja, auch des Steuerzahlers, was mit dessen Geldern passiert. Es geht um die Zusammenführung bisher getrennter Arbeitsbereiche, nicht nur der Landeszentrale für politische Bildung […]. Nicht nur die Landeszentrale für politische Bildung versammelt sich unter dieser Stabstelle, sondern es geht auch um bessere Abstimmung und Koordination bei gleichzeitiger Reduzierung von Parallelstrukturen.“ Katharina Günther-Wünsch (CDU), Senatorin (Link)
„Wir wollen dem doch sehr bunten Auswuchs in der Bildungsförderung mehr Steuerung geben.„ Katharina Günther-Wünsch (CDU), Senatorin (Link)
„Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haben den Wunsch und den Drang nach politischer Unabhängigkeit und dem Ende dieses Wildwuchses.“ Katharina Günther-Wünsch (CDU), Senatorin (Link)
„Es geht um das filigrane Zusammenspiel zwischen politischer Bildung und den politischen Akteuren demokratischer Parteien. Was heißt das praktisch? Praktisch heißt das, dass wir Orte geschaffen haben, in denen wir um die Unabhängigkeit und überparteilichkeit unserer Institutionen ringen. Das Kuratorium der Landeszentrale ist so ein Ort. Wir ringen hinter verschlossenen Türen, um nach außen hin gemeinsam unsere Institutionen zu stärken. Und ich bedauere es zutiefst, dass das letzte Jahr so verlaufen ist, dass trotz wiederholter Mahnungen im Kuratorium wir es nicht geschafft haben, die Debatten rund um die Ausrichtung der Landeszentrale im Kuratorium zu belassen und sie stattdessen durch die Vermengung der Arbeit der Landeszentrale und der Schaffung der Stabstelle der Konflikt in die Öffentlichkeit getragen wurde. Und wenn es schon dazu gekommen ist, dass die Debatte hier in die Fragestunde des Plenums getragen wurde, dann ist es unser gemeinsamer Auftrag, an keiner Stelle Zweifel aufkommen zu lassen daran, dass die Landeszentrale ihrem Auftrag der überparteilichkeit gerecht wurde. Insbesondere muss jeder und jede in diesem Raum der Verlockung widerstehen, kleine Beispiele der Arbeit der Landeszentrale in Misskredit zu führen und über diese auch das Gesamtwirken der Landeszentrale infrage zu stellen. Maja Lasic, SPD (Link)
„Wie wird denn eigentlich der Bedarf für ein Angebot wie den Workshop ‚Siebdruck und kritische Männlichkeit‘ ermittelt? Wie hoch ist denn die Nachfrage für ‚Antirassistisches Training für weiße Frauen?“ Katharina Günther-Wünsch, (CDU) Senatorin (Link) Ergänzung: der „Tagesspiegel Checkpoint“ hat es recherchiert. (Link)
„Liecke, der bereits vor Wochen öffentlich erklärt hatte, künftig persönlich Einfluss darauf nehmen zu wollen, wer im Bereich der politischen Bildungsarbeit gefördert wird und wer nicht, sprach von einem „Förderdickicht“, das aufgeklärt gehöre. „Wir müssen die Strukturen so organisieren, dass sie wirksamer werden“, erklärte Liecke und kündigte an, bei der Bewertung von Trägern künftig auch den Verfassungsschutz hinzuziehen zu wollen.“ Tagesspiegel vom 10.07.2024. (Link).
Anmerkung: in der Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 26.09.2024 gab es einen Redebeitrag vom CDU-Abgeordneten Freymark, in dem dieser die Sicht der CDU-Fraktion darstellte. Diese Rede bräuchte an verschiedenen Stellen einen „Faktencheck“, beispielsweise an der Stelle, an der er das Mitzeichnungsrecht der Stabstelle relativiert, indem er es rhetorisch in eine Kenntnisnahme umlabelt und damit eine Außendarstellung produziert, die mit der tatsächlichen Wirkung der oben zitierten Verfügung wenig gemeinsam hat. Zitat: „Weil wir über die Jahresplanung rübergucken wollen? Weil wir Fragen stellen wollen?“, oder die Zusammenfassung von Beauftragten in Bezirksämtern zu Stabstellen mit der hier beabsichtigten Stabstelle vergleicht, was aber tatsächlich aus verschiedenen Gründen nicht vergleichbar ist. Ein solches zusätzliches Einordnen würde den Rahmen von Zitierungen an dieser Stelle deutlich sprengen. Ich habe hier deshalb auf Zitierungen aus der Rede verzichtet, die Rede findet sich aber zum Nachhören hier.
Debattenfazit:
Aus Sicht der CDU ist die Einrichtung von Stabstellen kein besonderer Vorgang und man sieht hier kein rechtliches Problem. Linke und Grüne lehnen die Einrichtung der Stabstelle ab, da sie den Versuch politischer Einflussnahme auf die Programmatik und die Trägerauswahl befürchten. Die AfD hat die Einrichtung der Stabstelle in ihrer Rede begrüßt und erhofft sich durch diese weniger „linksgrüne“ Projekte, geht also offenbar auch von politischer Einflussnahme auf die politische Bildung aus. Die SPD trägt die Einrichtung der Stabstelle in der Plenumsdebatte „nicht aus Überzeugung, sondern aus dem Selbstverständnis der parlamentarischen Loyalität“ mit. (Maja Lasic, SPD). (Link).
Linksammlung aus diesem Artikel:
Fragestunde im Berliner Abgeordnetenhaus am 12.09.2024
Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus vom 26.09.2024
Berliner Erwachsenenbildungsgesetz
„Günther-Wünsch verteidigt kürzere Leine für Bildungsträger“ – Berliner Morgenpost vom 13.09.2024
„Streit um Landeszentrale für politische Bildung in Berlin“ – Tagesspiegel vom 20.09.2024
Petition „Regierungszugriff auf politische Bildung in Berlin verhindern“