Die IHK lud zum „BXB-Festival für eine bessere Bildung“ ins Ludwig Erhard Haus ein und beschäftigte sich auf zahlreichen Podien und Workshops mit Fragen rund um die Bildung in den Schulen, aber auch mit den Lebensrealitäten der heutigen Schüler- und Auszubildendengeneration, mit Berufsorientierung, Fachkräftegewinnung und der Weiterbildung von Mitarbeitenden.
Besonders gefreut habe ich mich auf die Keynote von Prof. Dr. Aladin el Mafaalani, dessen Interviews und auch Bücher ich schon seit Längerem regelrecht aufsauge, weil sie sehr anschaulich machen, dass wir einen anderen Blick auf die jetzige Schülergeneration im Speziellen und auch unsere Gesellschaft insgesamt werfen müssen, wenn wir verstehen wollen, was die wirklich relevanten gesellschaftlichen Fragen der heutigen Zeit sind.
Ein Begriff, der bei ihm immer wieder auftaucht, ist der der „Superdiversität“ (sehr hörenswert: Aladin el Mafaalani im „Hotel Matze“). Es geht darum, dass die heutige Schülergeneration in vielerlei Hinsicht so divers ist, wie nur wenige vor ihr und dass wir damit selbstverständlicher, aber auch professioneller umgehen müssen.
Als Beispiel führte er aus, dass sich heute in einer durchschnittlichen Grundschulklasse rund 70% Kinder mit einer internationalen Familiengeschichte finden, die aus beinahe einem dutzend Länder kommen, 8 religiöse Zugehörigkeiten haben und 12 Sprachen sprechen, deren Familien unterschiedlich lange in Deutschland sind und unterschiedliche Grade an Integration und Teilhabe aufweisen. Er brachte das auf den Punkt mit dem Satz „Grundschulen sind diverser als jeder DAX-Konzern.“
Chancengleichheit ist jedoch praktisch nicht gegeben und die Bildungseinrichtungen agieren häufig noch so, als dass diese Diversität ein zu minimierendes Hindernis sein müsste, statt sie positiv zu nutzen. Deutlich wurde aber auch, dass wir als Gesellschaft einen anderen Blick auf das Thema bräuchten, bevor wir in die Lage kommen, dies von Schulen erwarten zu können.
Er machte auch deutlich, dass die Schulen eine deutlich bessere (auch finanzielle) Ausstattung bräuchten und auch mehr Möglichkeiten und auch Bereitschaft zur ehrenamtlichen Beteiligung, beispielsweise von Rentner:innen, die „Patenschaften“ für einzelne Schulkinder übernehmen und sie durch die Schulzeit begleiten könnten.
Eins seiner regelmäßigen Themen, so auch an diesem Tag, sind „verfestigte Armutsstrukturen“. Ein Teil der Kinder findet in seinen Familien keine oder nur wenige Vorbilder und wenig Bildungsorientierung, weil die Familien selbst resigniert haben. Für die Familien selbst und auch für die Kinder dieser Familien brauchen wir Strukturen und Ermutigung.
Er stellte auch dar, dass sich Familienstrukturen verändert haben und dass Schulen deshalb Aufgaben erfüllen müssen, die sich vor 30 Jahren so noch nicht gestelt haben. Wenn die Hoffnung auch mit Blick auf den Fachkräftemangel beispielsweise die ist, dass beide Eltern erwerbstätig sind, dann müssen Schulen aus Denkmustern heraus, die davon ausgehen, dass Nachmittags jemand zu Hause mit den Kindern Hausaufgaben macht.
Dann kommt den Schulen auch ein neues Maß an Erziehungsaufgaben, aber auch an Pflicht zur demokratischen Beteiligung der Kinder und Jugendlichen zu, weil die Schulen heute nicht nur Lernorte, sondern immer mehr auch Lebensorte sind, in denen die Kinder und Jugendlichen einen relevant großen Teil ihres Tages verbringen.
Durch das Vorhandensein von Smartphones bei Kindern stellen sich völlig neue Fragen des Jugendschutzes. Nie zuvor sind Kinder so frühzeitig mit medialen Gewaltdarstellungen und Pornographie in Berührung kommen, wie heute. Die Schulen müssen hierfür besser gerüstet sein.
Es war eine eindrückliche Keynote, die ein sehr guter Einstieg in den weiteren Tag war.
Auf dem anschließenden Podium ging es zudem auch um Fragen der frühkindlichen Bildung und den Zugang zu Betreuungsplätzen. Stefan Spieker, IHK-Vizepräsident (und Geschäftsführer des FRÖBEL e.V.) stellte dar, dass wir beispielsweise in Berlin eine relativ hohe Betreuungsquote von Kindern in Kitas haben, dass die Quoten aber im Stadtgebiet ungleich verteilt sind und dass diejenigen, die keinen Kitaplatz haben, diesen oft eigentlich am drängendsten bräuchten, auch, um später die nötigen Sprachkenntnisse in die Grundschule mitbringen zu können (hierüber hatten Stefan Spieker und ich auch schon hier im Podcast gesprochen).
Eine Feststellung, die ich auf den verschiedensten Podien und in den verschiedensten Workshops immer wieder fand, war die, dass es heute in den Betrieben einen individuelleren Blick auf die Beschäftigten und ihre Kompetenzen braucht, als noch vor einigen Jahren und dass auch Erwartungen an das Betriebsklima neu ausgehandelt werden und sich verändern.
Es geht hierbei nicht um „Luxuserwartungen“, wie manche Zeitgenossen meinen, sondern insbesondere darum, in einer Zeit vieler Transformationen agil zu bleiben, sei es als Betrieb oder als Arbeitnehmer:in. Diese Feststellung kam sowohl von Betrieben, als auch Beschäftigten.
Spannend fand ich das Panel zum Stand der Digitalisierung des Staats- und damit auch des Bildungswesens, auf dem neben der Estnischen Botschafterin unter Anderem auch Dr. Sirkka Freigang, („Smart-Learning-Expertin, Futuristin und Autorin“) teilnahm. Kurzum: Estland hat bereits in den 1990ern angefangen, seine Verwaltung digital aufzubauen und ist uns deshalb heute weit voraus. Das ist auch im Umgang mit KI der Fall, vor der hier viele noch die Sorge haben, dass sie Arbeitsplätze vernichten wird.
Dr. Sirkka Freigang gab hierauf eine sehr eingängige und wie ich finde, zur Gestaltung aufrufende Antwort auf diese Sorge: Menschen würden nicht durch KI ersetzt, sondern durch Menschen, die KI nutzen. Ebenso wurde auf dem Panel die Bedeutung und Notwendigkeit von frühem Informatikunterricht für alle Kinder unterstrichen, verbunden mit der Feststellung, dass es sinnvoll wäre, in Berlin weniger über Religionsunterricht und mehr über Informatikunterricht nachzudenken…
Es war eine, wie ich finde, sehr gelungene Veranstaltung mit sehr viel mehr Panels, Workshops und Gesprächen, als hier Platz finden können und mit der Möglichkeit, viele Menschen, die im Berliner Bildungswesen aktiv sind, wiederzusehen, neue Menschen kennenzulernen und etliche Anregungen und auch Broschüren mitzunehmen. Der Lese- und auch Gesprächsstoff geht mir demnächst jedenfalls nicht aus.
Vielen Dank für die Einladung!