Wie sprach Finanzsenator Evers (CDU) im Juni diesen Jahres im Berliner Abgeordnetenhaus?
„Berlin kann, Berlin muss und Berlin wird mit weniger Geld gut funktionieren und das vielleicht sogar besser.“
Damals blieb unklar, wo das notorisch klamme Land Berlin sparen soll. Auch blieb sein Geheimnis, wie eine heute schon häufig dysfunktionale Stadtverwaltung mit überstrapazierter Infrastruktur und zu wenig Personal mit noch weniger Geld nicht nur auskommen, sondern sogar noch besser funktionieren soll. Ein paar Monate später wird (mal wieder) klar: der vielbeschworene „schlanke Staat“ wird nicht fitter, wenn man ihn noch schlanker macht, sondern er entwickelt Ausfallerscheinungen und Organversagen. Sarazzin und Wowereit lassen grüßen.
Im Gegensatz zum Juni 2024 ist aber heute zumindest in Teilen bekannt, wo Geld gespart werden soll:
in sämtlichen Ressorts des Berliner Senats und entgegen der Zusicherung des Regierenden Bürgermeisters vom zurückliegenden Dezember auch bei der Bildung (und der inneren Sicherheit). Im Bildungsressort hat es jüngst die Finanzierung des Projekts „Teachfirst“ getroffen, das sich an Schulen in schwieriger Lage richtet und Schülerinnen und Schülern hilft, entgegen bisheriger Prognosen doch noch einen Schulabschluss zu erreichen. Nun traf es in dieser Woche auch die Zuschüsse für Klassenfahrten.
Bis Ende November dürfen die Schulen keine Fahrten mehr buchen, wenn die Bildungsverwaltung die Kosten für die Mitreise der Klassenleitung erstatten muss. Oder wie es sich die Koalitionspartner in der Sitzung des Bildungsausschusses im Abgeordnetenhaus vom 10. Oktober gegenseitig auch zugesagt haben: wenn die Klassenleitungen auf die Erstattung ihrer eigenen Reisekosten verzichten (implizit: weil Fördervereine, Eltern oder die Lehrkraft selbst die Kosten tragen), dann ist das natürlich weiterhin möglich.
Man bleibt sprachlos zurück. Ob dieser Spaltung der Schülerinnen und Schüler in die, die ihrer Klassenleitung die Fahrt bezahlen können oder deren Klassenleitung ihre Dienstreisekosten selbst trägt und die, die es nicht können. Über die eingeräumte „Möglichkeit“ für das Personal, die eigene Dienstreise selbst zu bezahlen. Und über die Chuzpe, diese Sparmaßnahme auch noch als Notwendigkeitsentscheidung darzustellen, als seien ein Landeshaushalt und seine Einnahmensituation ein nicht änderbares Naturgesetz und als hätten die Koalitionen in Land und Bund auch schon alles versucht, um die aktuelle Haushaltslage zu vermeiden.
Fast schon zu plakativ laufen parallel Berichte darüber, dass die Vonovia sich hunderte Millionen Euro an Steuern an das Land Berlin spart. Steuerschlupflöcher. Kannste nix machen, außer mit den Schultern zu zucken und bedauernd zu gucken. Sorry, liebe Schülerinnen und Schüler. Für die Klassenfahrten, die nicht nur Bildungsangebot, sondern auch die Möglichkeit zur Gemeinschaftsbildung nach den schwierigen letzten Jahren sind, will der Senat offenkundig kein Geld mehr ausgeben und zunehmend verdichten sich Einzelentscheidungen der vergangenen eineinhalb Jahre Schwarz-Rot in der Bildung zu einem Gesamtbild:
Die Zugangsregelungen für den Übergang an weiterführende Schulen wurden unter der neuen Koalition dahingehend verändert, dass die besten Aussichten auf Plätze auf den besten Schulen (Gymnasien und Integrierte Sekundarschulen gleichermaßen) künftig nur noch diejenigen Kinder haben, die besonders gut Deutsch sprechen und gut in Mathe und Englisch sind, während die Leistungen in allen anderen Fächer unberücksichtig bleiben.
Das benachteiligt insbesondere Kinder mit Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache. In einer Stadt wie Berlin mit einem 40-prozentigen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund unter seinen Einwohnerinnen und Einwohnern ist das eine geradezu rückwärtsgewandte und sozial noch mehr segregierende Entscheidung. Etwas spitz formuliert: das Berliner Bildungswesen hätte Leonardo da vinci letztlich durch die Raster fallen lassen und auf eine „Schule in schwieriger Lage“ verwiesen , weil er kein Wort Deutsch sprach.
Eine zusätzliche und eigentlich nötige Förderung der Grundschulen ist nicht in Sicht, da der Senat den Grundschulen außer dem sinnvollen, aber in der Gesamtwirkung wohl überschaubaren „Leseband“ bisher zu wenig Neues an Konzepten und Unterstützung anbietet. Hinzu kommt die Streichung von Stellen im Profilbedarf II, welcher in der Vergangenheit auch für Förderangebote genutzt wurde. Für die gezielte Sprachförderung im frühkindlichen Bereich bekommen die Kitas künftig weniger Geld zur Verfügung gestellt, nachdem die neue Koaltion mit dem Ziel verstärkter Sprachförderung im frühkindlichen Bereich angetreten ist.
Ein (gewollter oder ungewollter sei dahingestellt) Nebeneffekt letzterer Neuregelung wird sein, dass wir demnächst sehr genau wissen werden, für wie viele Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache, deren Eltern Bürgergeld beziehen, der Senat Geld für die Sprachförderung an die Kitas auszahlt, die in einigen Bezirken immer noch nicht alle Kinder mit Plätzen versorgen können. Sind Sie auch schon so gespannt auf die Spardebatte im nächsten Jahr, wie ich? Und darauf, worüber dann in welchem Duktus über Familien mit Migrationshintergrund seitens der üblichen parlamentarischen Bekannten diskutiert wird?
Es gibt jetzt zwar keine Klassenfahrten, keine Förderung und wenn sie kein wirklich gutes Deutsch sprechen auch keine gute weiterführende Schule für die Kids, aber dafür hat die Bildungsverwaltung Entschlossenheit gezeigt und per Verwaltungsvorschrift festgelegt, dass Verspätungen zum Unterricht künftig als komplette unentschuldigte Fehlstunde zu werten sind. Bei sechs unentschuldigten Verspätungen Fehlstunden gelten diese dann als unentschuldigter Fehltag. Der pädagogische Nutzen dieser Regelung bleibt unklar, die Festlegung ist auch inhaltlich Murks (eine Verspätung ist keine versäumte Unterrichtseinheit), die eigentlich verantwortliche Zielgruppe, nämlich die Eltern, wird mit dieser Entscheidung im Zweifel gar nicht erreicht, aber das Kind gestraft und die Schule hat mehr bürokratischen Aufwand.
„Sechs einzelne unentschuldigte Fehlstunden im Schulhalbjahr gelten als ein
unentschuldigter Fehltag. Nach der zweiten Verspätung pro Schulhalbjahr wird jede weitere
Verspätung als unentschuldigte Fehlstunde gewertet, es sei denn, die Verspätung beruht auf
glaubhaft gemachten, nicht selbst zu vertretenden Gründen.“
Aus der Ausführungsvorschrift Schulbesuchspflicht in der Fassung vom 07.09.2024
Man könnte sich wünschen, dass gehäufte Fehlzeiten eher als Grund gesehen werden, die Sozialarbeit in den Schulen und damit den Austausch mit den Kindern und Jugendlichen zu stärken, aber ich bin zur Befürchtung geneigt, dass wir demnächst auch wieder über Kürzungen bei der Schulsozialarbeit diskutieren müssen. Gut, dass wir dann wenigstens wissen, wen und wie wir sanktionieren sollen.
Fazit: wir helfen den Kindern zwar nicht, sondern sparen bei ihnen, aber dafür sind wir ihnen gegenüber jetzt noch klarer in der bürokratischen Ansprache, bei der Sanktionierung unerwünschten Verhaltens und in der Segregation, wenn sie nicht funktionieren oder Deutsch sprechen, wie sie sollen und wenn Mama und Papa nicht das Geld haben, um benötigten Förderunterricht selbst zu bezahlen.
Natürlich kann man argumentieren, dass die eben genannten Entscheidungen unabhängig voneinander getroffen wurden und nicht miteinander im Zusammenhang stehen, aber viele Einzelentscheidungen wirken irgendwann gemeinsam und machen auch einen Gesamteindruck. Und der spricht derzeit nicht dafür, dass man alle Kinder dieser Stadt im Blick hat, sondern dafür, dass Familien und Kinder einzelner sozialer Gruppen durch die Kürzungen und die allgemeine Politik des Senats überproportional benachteiligt werden, die auch sonst immer wieder ungesehen bleiben oder gar benachteiligt werden. Diese Entwicklung trägt gesellschaftlichen Sprengstoff in sich, wird zu weiteren Verteilungskonflikten und sozialen Segregationen und (auch das kennen wir mittlerweile hinlänglich) irgendwann zu Polizeieinsätzen in Schulen führen. Dem sollte man nicht nachträglich mit der Sanktionierung von Kindern und Jugendlichen begegnen, sondern vorausschauend mit ausfinanzierten Kinder- Jugend- und Bildungseinrichtungen.