„Wir müssen den Bildungsföderalismus endlich beenden!“ lautet eine immer wieder in Debatten über das Bildungswesen erhobene Forderung. Es brauche ein zentralisiertes Bildungswesen, weil wirkliche gemeinsame Standards fehlen und die Vergleichbarkeit der Abschlüsse mangelhaft ist. Und es könne doch nicht sein, dass der Bund keine Schulausstattung, beispielsweise bei der Digitalisierung, finanzieren darf, obwohl er es möchte. Es darf nicht sein, dass ein Umzug zwischen Bundesländern zu einem größeren Problem wird, weil Schultypen nicht miteinander kompatibel sind. Aus meiner Sicht sind das alles völlig richtige Einwürfe, die Handlungsbedarf aufzeigen. Ich denke aber, dass eine Zentralisierung des Bildungswesens keines dieser Probleme wirklich lösen, sondern im Gegenteil sehr viele Probleme verursachen würde.

Ich bemühe mich, zu umreißen, was eine Zentralisierung an Aufwand verschiedener Arten aus meiner Sicht nach sich ziehen würde und auch, welche Probleme damit explizit nicht gelöst würden. Meine eigene Position wird eine Rolle spielen, aber ich werde sie kenntlich machen und ich möchte am Ende auch ein paar Ansätze formulieren, von denen ich eher glaube, dass sie helfen.

Warum eigentlich Bildungsföderalismus?

Der Förderalismus in der Deutschen Bildung hat eine ziemlich lange Tradition, die vorübergehend durch die NS-Zeit und die damit einhergehende Gleichschaltung unterbrochen wurde. Aus der Erfahrung hieraus wurde bei der Abfassung des Grundgesetzes für die BRD darauf geachtet, dass ein neuerlicher politischer Missbrauch des Bildungswesens erschwert wird, man hat den Bildungsföderalismus wieder eingeführt und die Schulen auch „lediglich“ unter staatliche Aufsicht gestellt. Das gibt den Einzelschulen eine relative Autonomie, es ermöglicht aber auch den Betrieb freier, nicht staatlich betriebener Schulen.

Entgegen manchem nachträglichen Wunsch, dies mit einem angestrebten „Bildungswettbewerb“ unter den Bundesländern zu erklären, war dies jedoch kein Grund bzw. keine Absicht. Es wäre auch in der Praxis Unsinn, da nur die allerwenigsten Familien das Bundesland, in welchem sie wohnen, wechseln werden, nur, weil woanders die Schulen besser sind.

In der DDR gab es ein zentralisiertes Bildungswesen. Das Schulsystem war einsofern eingliedrig, als dass die Schülerinnen und Schüler von Klasse 1 bis 10 zusammenblieben und ein relativ kleiner Teil, der die Zugangsberechtigung zum Abitur erhielt, an eine zum Abitur führende Schule wechseln durfte. Die Zentralisierung resultierte auch aus der Rolle, die man dem Bildungs- und Erziehungswesen bei der „ideologischen Festigung“ der Bevölkerung zugedacht hat. Letzterer Aspekt gehört der Vollständigkeit halber in diesen Artikel und braucht eine weitere und ernsthafte Befassung, ist aber aus meiner Sicht kein Argument, welches eine Zentralisierung grundsätzlich ausschließt und würde den Rahmen dieses Beitrags deutlich sprengen, weshalb ich den Aspekt (zumindest heute und hier) nicht weiter beleuchten werde.

Wie sehen die Strukturen im Bildungswesen heute aus?

Hier draufzuschauen, ist aus meiner Sicht wichtig für weitere Überlegungen, wenn man über eine Zentralisierung nachdenken möchte. Für die allgemeinbildenden Schulen jeglicher Schulform und auch die Erwachsenenbildung sind die Bundesländer zuständig. Das Bildungsministerium auf der Bundesebene ist im Wesentlichen für für Themen rund um die wissenschaftliche Forschung zuständig. Aus diesem Grunde brauchte die Finanzierung der allgemein bildenden Schulen über den Digitalpakt auch eine Grundgesetzänderung.

In den Bundesländern gibt es zuständige Ministerien/Senatsverwaltungen. Diese sind für die so genannten „Inneren Schulangelegenheiten“ zuständig: Lehrkräfte, Schulleitungen, Rahmenlehrpläne, Durchführungsverordnungen im Zusammenhang mit dem Bildungs- und Erziehungsauftrag, die diesbezügliche Finanzierung und so weiter. Die Kommunen sind widerum für die „äußeren Schulangelegenheiten“ zuständig, also beispielsweise für den Bau und Betrieb der Gebäude und die Beschäftigung des für die Wartung angestellten Personals (z.Bsp. Hausmeister), aber auch für die Schulhöfe, Sportplätze und andere Außenanlagen sowie größere Baumaßnahmen und einen Teil der Finanzierung der schulischen Ausstattung.

Jede Schule hat eine Schulleitung (sofern es nicht gerade Personalmangel gibt), die einerseits die Schnittstelle zwischen inneren und äußeren Schulangelegenheiten und andererseits für den Betrieb der Schule zuständig ist. Sie ist beispielsweise dafür zuständig, Baumaßnahmen anzustoßen, Genehmigungen einzuholen und die Gelder zu akquirieren, aber andererseits auch für die Personalführung und dafür, sicherzustellen, dass die Rahmenlehrpläne umgesetzt werden und Abläufe gefunden werden, die den Gegebenheiten der jeweiligen Schule gerecht werden. Es kann erhebliche Unterschiede machen, in welchem Bezirk oder Kiez eine Schule liegt und insofern hat jede Schule Gegebenheiten, die sie selbst nicht beeinflussen kann (z.Bsp. der soziale Status der Kinder), mit denen sie aber umgehen muss. Dafür haben die Schulen verschiedene rechtliche und finanzielle Mittel, über deren Einsatz die Schulleitung mit ihrer Schulgemeinschaft entscheidet.

Schulformen

Es gibt in den 16 Bundesländern eine schwer überschaubare Vielzahl an Schulformen mit vielen unterschiedlichen Bezeichnungen. Diese Vielzahl ist immer wieder Gegenstand der Kritik, weil die Schulformen mitunter zwischen den Bundesländern nicht ohne Weiteres kompatibel sind, was einen Schulwechsel nach Umzug für alle Beteiligten schwierig machen kann. Aber wie ist diese Vielzahl verteilt?

Zwei Schulformen sind in allen Bundesländern mit überschaubaren Abweichungen gleich gestaltet:

  1. Die Grundschulen. In Berlin und und Brandenburg werden diese i.d.R. 6 Jahre besucht, in allen weiteren Bundesländern 4 Jahre.

  2. Die Gymnasien. In einigen Bundesländern erhält man das Abitur nach 12 Jahren, in anderen nach 13 Jahren. Die Gymnasien haben unterschiedliche Profile (z.Bsp. sprachliche oder naturwissenschaftliche), führen aber in jedem Fall zum Abitur.

Als besondere Schulform gibt es noch die Förderschulen/Förderzentren, die aber ebenfalls zwischen den Bundesländern variieren und ein Teil der Bundesländer hat Vorschulsysteme, die vor Beginn der Klasse 1 ansetzen, aber genau genommen in den Bereich der frühkindlichen Bildung fallen. Hinzu kommt ein bundesweit vergleichsweise kleiner Anteil an Gemeinschaftsschulen, die mit Jahrgang 1 beginnen und schulwechselfrei zum Abitur führen können.

Die wohl mit Abstand größte Zahl an Schulformen in den 16 Bundesländern gibt es im Bereich der Sekundarstufe I, also den Schulen der Jahrgangsstufen fünf (in Berlin und Brandenburg ab Klasse 7) bis 10, die keine Gymnasien sind. Es gibt die „klassischen“ Realschulen, die zum mittleren Schulabschluss nach Klasse 10 führen, es gibt Hauptschulen und es gibt bundesweit eine Vielzahl an Schulformen, die es den Jugendlichen ermöglichen, nach Klasse 10 doch noch auf der Schule oder im „Verbund“ zu bleiben, um das Abitur oder eine fachgebundene Hochschulreife („Fachabitur“) nachzuholen.

Innerhalb der Schulformen der Sekundarstufe 1 gibt und gab es verschiedene Möglichkeiten, um den Übergang vom Hauptschulabschluss zum Realschulabschluss und in die berufliche Bildung fließender zu machen, beispielsweise in den (mittlerweile aber wieder abgeschafften) Werkrealschulen in Baden-Württemberg.

Hinzu kommt noch eine Vielzahl an Bildungsgängen, die die allgemeinbildende Schule mit der beruflichen Bildung verknüpfen und mit verschiedenen Schwerpunkten auf eine Berufsausbildung vorbereiten sollen. Aus meiner Sicht ist genau diese Vielfalt der „mittleren Schulformen“ ein Hinweis darauf, dass und warum die Vereinheitlichung so kompliziert wäre. Warum gibt es diese vielen Schulformen, statt eines eingliedrigen Systems (alle zusammen von Klasse 1 bis zum Abitur) oder eines einheitlich mehrgliedrigen Systems (beispielsweise Hauptschule, Realschule, Gymnasium)?

Hierfür einleitend ein kurzer Rückblick:

Insbesondere in den 1960er Jahren nahm die Diskussion über die Durchlässigkeit des Deutschen Bildungssystems (wieder) Fahrt auf und die Politik hatte sich zum Ziel gesetzt, diese Durchlässigkeit zu verbessern. Da das Gymnasium aber die mit Abstand strukturkonservativste Schulform ist, die wir in Deutschland haben und an der auch viel Statusbewusstsein hängt, sind Reformen, die zu einer Öffnung der Gymnasien oder gar ihrer Abschaffung führen würden, bis heute schwierig bis unmöglich. Kein Kultusminister und keine Kultusministerin würde einen Versuch der Abschaffung der Gymnasien politisch überleben, während die Gymnasien (die kleine Polemik sei mir erlaubt) mehrere Jahrhunderte, mehrere Revolutionen, zwei Weltkriege, die DDR und auch einen relevanten Teil sozial- und bildungswissenschaftlicher Erkenntnisse überlebt haben. Das Gymnasium ist die einzige weiterführende Schulform, die in allen Bundesländern in verhältnismäßig gleicher Konzeption existiert und spielt deshalb auch bei sämtlichen Schulstrukturdebatten eine erhebliche Rolle.

In Hamburg scheiterte 2010 eine Landesregierung bereits daran, die Grundschule um zwei Jahre zu verlängern, die Kinder später aufzuteilen und damit auch implizit die Besuchszeit an den Gymnasien zu verkürzen. Die Bürgerinnen und Bürger riefen über Wochen zum Protest. Im Zuge dessen traten später der damalige Erste Bürgermeister und die Bildungssenatorin zurück.

Man erkannte in den 1960ern, dass man, um die Durchlässigkeit zum Abitur zu erhöhen, eine Schulform brauchte, die nach der zehnten Klasse zum Abitur führte, ohne dabei die Gymnasien antasten oder diese um die Kinder der damals aufstrebenden gesellschaftlichen Mittelklasse vergrößern zu müssen. Daraus entstand bundesweit eine Vielzahl an Schulen, die die Sekundarstufe 1 mit dem Abitur verknüpften und auch die Durchlässigkeit aus der Hauptschule erhöhten.

Gleichzeitig behielten diese Schulen den impliziten Auftrag bei, die Jugendlichen zur Aufnahme einer beruflichen Ausbildung zu befähigen, so dass der „Aufgabenstrauß“ dieser Schulformen und die soziale Diversität der Schülerschaft immer größer wurden.

Ein weiterer Aspekt der Bildungsvielfalt waren schon immer regionale Abweichungen in den Lehrplänen, weil beispielsweise Sprachbesonderheiten existierten (z.Bsp. gab/gibt es in Deutsch-Französischen Grenzgebieten eine stärkere Ausprägung des Französischunterrichts als in anderen Bundesländern), oder weil es regionale Wirtschaftszweige gab/gibt, deren Bedarfen man bei der Konzipierung der Rahmenlehrpläne Rechnung tragen wollte.

Durch diese Umstände (und weitere) entstanden allein im Bereich der Sekundarstufe 1 verschiedenste Rahmenlehrpläne und verschiedenste Stundentafeln je nach Bundesland und Schulart sowie eine Vielzahl an Verknüpfungen zwischen den allgemeinbildenden Schulen und der beruflichen Bildung. Oft sind diese Übergänge fließend, regional bedingt und nicht mehr klar trennbar. All das, was mühsam austariert wurde, müsste bei einer Zentralisierung bundesweit neu geordnet werden.

Notwendigkeiten bei einer Zentralisierung

Die folgende Auflistung kann gar nicht abschließend sein, aber ich bemühe mich, die aus meiner Sicht wichtigsten Fragen greifbar zu machen. Welche grundsätzlichen Fragen müssten bei einer Zentralisierung beantwortet werden?

1. Wollen wir ein Ein- oder ein mehrgliedriges Bildungswesen?

Die Bildungswissenschaft und andere Expertinnen und Experten formulieren seit Langem, dass eine Vereinheitlichung der Bildungsgänge, also eine Verabschiedung von der Mehrgliedrigkeit, aus vielen Gründen sinnvoll wäre. Auch ich selbst bin ein Anhänger dessen. Aber: hierfür sind schlichtweg weder gesellschaftliche noch politische Mehrheiten in Sicht. Eine Gesellschaft, die sich in ihrer Tendenz in Richtung sozialer Segregationen entwickelt, wird kein progressives und egalitäres Bildungswesen schaffen, wenn sie beginnen würde, es neu aufzubauen. Insofern würde es wohl eher auf ein mehrgliedriges Bildungswesen hinauslaufen.

Und wenn das Bildungswesen mehrgliedrig sein soll: sollen dann auch die Hauptschulen wieder bundesweit eingeführt werden, die in verschiedenen Bundesländern mühevoll abgeschafft wurden? Dies wurde insbesondere in der Bildungsforschung als Fortschritt bewertet, aber von konservativer Seite als Fehler. Wie setzen wir Inklusion um? Setzen wir sie um, oder behaupten wir weiter, Förderschulen wären ein Beitrag zur Inklusion, um uns nicht darum kümmern zu müssen? Wie definieren wir die Schnittstellen zur beruflichen Bildung neu, die auf Länderebene mit Kammern und Verbänden mühsam austariert wurden?

2. Übergang nach Klasse 4 oder 6?

Diese Frage lässt sich ohne Glaskugel schwer beantworten, aber wenn man die heutige politische Verteilung unter den Bundesländern als Indikator nimmt, dann dürfte die Antwort 14:2 für „Nach Klasse 4“ ausgehen, also das Gegenteil dessen sein, was viele, die eine Zentralisierung fordern (längeres gemeinsames lernen und späte oder gar keine Segregation), wollen.

3. Welchen Zweck hat die Sekundarstufe 1 (Klassen 5/7 bis 10)?

Soll sie ausschließlich zur Aufnahme einer beruflichen Ausbildung qualifizieren oder auch zum Übergang zum Abitur? Aus meiner Sicht ist das die Frage mit der größten politischen Sprengkraft, die sich zudem auch kaum zentral beantworten lässt, ohne massive gesellschaftliche Debatten und letztlich auch wirtschaftliche Schäden zu verursachen. Letzteres, weil die Wirtschaft auf derzeit existierende Bildungsgänge eingestellt ist und wohl auch einen Teil ihrer eigenen Aus- und Weiterbildungssysteme anpassen müsste bei gleichzeitig unbekanntem Nutzen der Strukturreform.

Frankreich beispielsweise hat ein zentral organisiertes Bildungswesen und lag bei den jüngsten PISA-Vergleichsstudien sogar noch zwei Plätze hinter der Bundesrepublik.

4. Wie viel Eigenständigkeit sollen die Schulen haben?

Eine gewaltige Rolle bei allen Debatten über Bildung spielt die Rolle der „Eigenständigen Schule“.

Schulen haben heute eine vergleichsweise große Eigenständigkeit, sich auf ihre Schulgemeinschaften einzustellen bzw. sich mit ihnen gemeinsam zu entwickeln. In Berlin reicht diese Eigenständigkeit partiell sogar bis in die Rahmenlehrpläne und Stundentafeln hinein. Praktisch ist die Umsetzung der Eigenständigkeit oft schwierig, allein, weil Ressourcen fehlen, aber grundsätzlich ist das so gedacht und funktioniert auch gut, wenn die Ressourcen bereitgestellt werden. Die Entwicklung der als „Problemschule“ bekannt gewordenen Neuköllner Rütli-Schule zur übernachgefragten Schule in den vergangenen Jahren ist ein sehr gutes Beispiel dafür.

Die Kernfragen aus meiner Sicht:

  • Soll die Eigenständigkeit der Schulen bestehen bleiben? Soll sie im Sinne der Vereinheitlichung bundesweit abgeschafft werden?
  • Wenn sie bleiben soll, welches Ziel hätte dann eine bundesweite Vereinheitlichung des Bildungswesens?
  • Wenn sie abgeschafft werden soll: wie soll eine Schule im sozialen Brennpunkt funktionieren, wenn sie mit Schulen in gutbürgerlichen Millieus gleichgesetzt wird und keine Eigenständigkeit mehr hat?
  • Und wenn es bundesweite Vereinheitlichungen geben soll, von denen regional abgewichen werden darf: brauchen wir dann wieder Instanzen auf Landesebene, die als Schnittstelle zwischen Bund und Schule mit eigenen Entscheidungskompetenzen und Budgets agieren, also so eine Art „Kultusministerien light“?

5. Wer schreibt die Rahmenpläne?

Wie wird sichergestellt, dass auch schulische Praktiker in die Erstellung der Rahmenlehrpläne einbezogen werden, wenn das auf Bundesebene stattfindet? Wie werden regionale Besonderheiten (s.o.) gewichtet?

Wer entscheidet, welche Inhalte reingehören und welche nicht? In den vergangenen Jahren habe ich so ziemlich alle schulischen Berliner Gremien „durchgespielt“, an denen man als Elternvertreter teilhaben kann und dabei auch über Rahmenlehrplänen gebrütet, sei es im Landesschulbeirat im Rahmen von Anhörungsverfahren oder in innerschulischen Fachkonferenzen, in denen darüber gesprochen wird, wie die Inhalte gewichtet und fächerübergreifend verzahnt werden. Das sind wirklich komplexe und nicht einfach zu beantwortende Unterfangen.

Die oft erhobene Forderung „entschlacken“ bewegt sich angesichts dessen auf dem gleichen Komplexitätsniveau wie die nie näher erläuterte, aber gut klingende Forderung nach „Bürokratieabbau“. Und ich persönlich finde es auch gut, dass manche bundespolitische Akteure sich nicht auch noch zu Rahmenlehrplanexperten aufschwingen wollen, sondern dass Rahmenlehrpläne nach Vorlage durch die Kultusverwaltung in Beiräten jenseits der politischen Aufregung unter Hinzuziehung von Praktikern besprochen werden, auch, wenn diese Runden allzu häufig sehr nach Staub schmecken.

Eine weitere Frage mit Sprengkraft: welche (ggf. auch nur regional existierenden) Fächer sollen ggf. im Zuge der Vereinheitlichung abgeschafft werden? Welche neu geschaffen werden?

Nebenbei bemerkt: den Föderalismus gibt es auch vor dem Hintergrund, dass vermieden werden soll, dass Lehrpläne zentral, vor dem Hintergrund politischer Erwägungen und von zu wenigen Akteuren geschrieben werden.

6. Wie soll die Schnittstelle Schule / Schulträger organisiert werden?

Für die Schulen vor Ort dürfte es in der praktischen Umsetzung verhältnismäßig nachrangig sein, ob ein Rahmenlehrplan vom Bund oder vom Land kommt. Viel wichtiger ist die Frage, wie die Koordination zwischen pädagogischen und didaktischen Aufgabenstellungen (innere Schulangelegenheiten) beispielsweise mit baulichen Erfordernissen (äußere Schulangelegenheiten) zusammengebracht werden. So beispielsweise bei der Ausgestaltung des Sportunterrichts in Kombination mit der Frage, ob dafür überhaupt ein Sportplatz verfügbar ist oder verfügbar gemacht werden kann und wie er ausgestattet ist. Wie kommen die Grundschulkinder von der Schule in angemessener Zeit zum Schwimmunterricht und pünktlich zurück zur nächsten Stunde? Lohnt es, den Musikunterricht konzeptionell zu entwickeln, oder muss damit gerechnet werden, dass die Umrüstung eines Klassenraums zum Musikraum letztlich am Geld oder der Abhängung der Zimmerdecke aus Denkmal- oder Brandschutzgründen scheitert?

Oder die Verknüpfung von digitaler Schule mit dem Umstand, dass irgendjemand die Smartboards auch anbringen muss und hier nicht der Denkmalschutz Probleme sieht. Das sind praktische Fragen, die in den Schulen allzu häufig Arbeitsaufwand, Umstände und eine Menge Diskussionspotential verursachen, die eine Zentralisierung des Bildungswesens aber nicht lösen würde.

Die Digitalisierung bzw. die Verwendung der Digitalpaktmittel scheiterte allzu häufig an genau dieser Schnittstelle. Beispielsweise durften die Schulleitungen Endgeräte, also beispielsweise Tablets erst bestellen, wenn es in der Schule W-LAN gab. Diese W-LAN-Verkabelung ist aber Aufgabe des Schulträgers, also der Kommune, dem es aber oft auch nicht einfach genug gehen kann, beispielsweise weil bauliche Auflagen beachtet werden müssen. Von „Wir wollen Tablets kaufen“ bis zu „Wir haben ein Denkmalschutz- oder Brandschutzproblem“ ist es also nicht allzu weit und allzu häufig hängen dann in so einem Prozess plötzlich mehrere Behörden drin und ein Medienkonzept muss auch noch geschrieben und nachgewiesen werden, weil allein der Besitz von Tablets noch lange nicht zu Unterricht führt, der dem 21en Jahrhundert gerecht wird.

Der vorläufige Endgegner in dem Prozess war (zumindest in Berlin) der Umstand, dass es keine Whitelist für Apps gab, die auf den Endgeräten installiert werden durften. Es gab also irgendwann Tablets, aber keine Apps. Und anschließend die Debatte, warum die „unwilligen Lehrkräfte“ die Geräte zu tausenden nicht benutzten.

Eine Zentralisierung würde all diese Probleme nicht auflösen, weil die Übertragung von Landeskompetenzen an den Bund die Schnittstelle zu den Kommunen nicht verändert.

7. Wie viel Zeit wollen wir uns für eine Zentralisierung nehmen? Wie viel Zeit brauchen wir?

Ich beschränke mich auf ein paar wenige, aber aus meiner Sicht relevante Aspekte:

  1. Mit einer Strukturdebatte zwischen Bund, Ländern und Zivilgesellschaft, die all diese Fragen beantworten soll, kann man mindestens eine Legislaturperiode füllen. Die Kultusministerkonferenz schafft es seit 76 Jahren nicht, diese Fragen einheitlich zu beantworten, sondern beantwortet diese immer wieder neu. Und selbst, wenn man diese Fragen beantwortet hat, hat man noch keinen einzigen Schritt in der Umsetzung gemacht.

  2. Eine Konzeptionierung eines Rahmenlehrplans dauert in Berlin mehrere Jahre und es müssten Rahmenlehrpläne für sämtliche bundesweiten Fächer konzeptioniert werden. Auch das dürfte mindestens eine weitere Legislatur beanspruchen (sofern man mit allen Rahmenlehrplänen zeitgleich beginnt) und erhebliche Ressourcen bei allen Beteiligten binden, ohne, dass dann in den Schulen irgendwas an Veränderung angekommen ist.

  3. Wenn viele weitere Schritte gegangen sind und die Anpassung in die Umsetzung geht, wird eine bundesweite Harmonisierung vermutlich ein gutes Jahrzehnt brauchen, da die bereits laufenden Bildungsgänge nicht einfach abgeschaltet und durch neue ersetzt werden können, sondern auslaufen müssen. Sämtliche Schulen würden sich also bundesweit in einen mindestens zehnjährigen Schulentwicklungsprozess begeben müssen, in dem sie mindestens zwei Bildungsgänge mit unterschiedlichen Lehrplänen und Stundentafeln gleichzeitig anbieten müssen.

  4. Gleichzeitig müssen die Schulen baulich angepasst werden, was die Kommunen auch nur sukkzessive umsetzen können. Die Schularten haben unterschiedliche Platz-, -Raum- und Ausstattungsbedarfe. Man kann nicht mal eben eine Gemeinschaftsschule zur Realschule machen oder anders herum. Eine Grundschule kann nicht einfach als Förderzentrum genutzt werden. Allein diese Umbauten brauchen Jahre und sehr, sehr viel Geld. In Relation: in Berlin wurden kürzlich die Zuschüsse für Klassenfahrten vorerst gestrichen, weil der Haushalt klamm ist.

  5. Und wenn all das geschafft ist (optimistische Prognose: 25 Jahre) wurde noch nichts verbessert, sondern lediglich die Schulstruktur wäre eine andere.

Viele Bedenken, aber kein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken.

Was mir in den Bildungsdebatten zu häufig untergeht: der Umstand, dass es in den Schulen nicht um Verwaltungsakte geht, sondern um Menschen. Um Schülerinnen und Schüler, um Lehrkräfte und alle weiteren Beschäftigten und um Eltern. Es geht darum, dass diese Menschen Erwartungen an die Institution und aneinander haben.

Schulen scheitern nicht, weil Rahmenlehrpläne nicht vom Bund, sondern vom Land kommen. Sie kämpfen unter Anderem mit herausfordernden Sozialstrukturen, mit Unterfinanzierung, mit Personalmangel und mit fehlender Multiprofessionalität. Brennpunktschulen scheitern nicht, weil sie innovative Bildungskonzepte, die woanders gelebt werden, nicht umsetzen, sondern weil sie aufgrund der täglichen Problemlagen, mit denen sie kämpfen haben, schlichtweg nicht in dem Maße dazu kommen, Schulentwicklung zu betreiben wie Schulen in sozioökonomisch stärker aufgestellten Gegenden.

Aus meiner Sicht würde Schulen folgendes sehr grundsätzlich helfen (Auflistung unvollständig):

Lehrkräfte, Sozialarbeiter und auch weiteres pädagogisches Personal für die Schulen. Schulen sind nicht nur Bildungsorte, sondern vor Allem Orte, an denen Menschen mit ihren unterschiedlichsten Fähigkeiten und auch Herausforderungen zusammenkommen. Es braucht Menschen, die Zeit haben, die Kinder und Jugendlichen wahrzunehmen, ihnen gerecht zu werden und auch ihre Stärken zu entdecken und zu fördern. Über Eskalationen (auch) in Schulen, weil Kinder von dieser Gesellschaft als Menschen behandelt werden, die der Gesellschaft etwas schuldig sind und nicht als Menschen mit Bedürfnissen und Wünschen, müssen wir uns nicht wundern. Kinder sind von Haus aus neugierig , lernwillig und soziale Wesen. Man darf ihnen das nur nicht vermiesen und muss sie ordentlich „behandeln“ wollen. Die Schulen schaffen das aber nur mit ausreichend Personal, das auch vom Dienstherren bzw. Arbeitgeber ordentlich behandelt wird und das auch ein Recht auf regelmäßige Supervision hat.

Teams, die Leitung und Organisationsentwicklung verstehen. Schulentwicklung darf nicht davon abhängig sein, dass eine Schulleitung Kapazitäten dafür hat. Sie darf nicht davon abhängig sein, dass ehrenamtliche Eltern und Schülerinnen und Schüler sich einbringen, dass es einen finanzstarken Förderverein gibt und dass Lehrkräfte nach dem Unterricht noch hinreichend Energie haben, sich in Konferenzen zu setzen. Jedes größere Unternehmen leistet sich mindestens eine Stabsstelle, die sich ausschließlich mit Organisationsentwicklung befasst und den Fachbereichen und der Geschäftsleitung zuarbeitet. Warum nicht die Schulen?

Verwaltungsteams. Es kann nicht sein, dass eine Schulleitung, die eine Schule leiten soll, sich permanent wegen Kleinigkeiten mit dem Schulträger, anderen Akteuren oder dem defekten Kopierer auseinandersetzen muss. Die jetzige Konstellation führt dazu, dass Schulleitungen zu Teilen ihrer Arbeitstage schlichtweg die bestbezahlten Schreibkräfte sind, die wir beschäftigen, während wir sie damit von ihrer eigentlichen Aufgabe abhalten.

Fazit:

Die Vergleichbarkeit der Schulabschlüsse bleibt eine Daueraufgabe, die auch die KMK noch intensiver angehen könnte. Gleiches gilt bei der Frage der Schulwechsel zwischen den Bundesländern. Auch hier gibt es noch Verbesserungspotential, aber ich werde an dieser Stelle nicht behaupten, die Universallösung zu haben, auf die dort noch niemand gekommen ist.

Aber: man kann an der Qualität der Schulabschlüsse arbeiten. Beispielsweise, indem man all das Geld, was eine Zentralisierung kosten würde und die Zeit, die darin investiert werden müsste, in die Schulen und in eine wirksame Qualitätssicherung steckt. Dann ließen sich viele Probleme, mit denen wir heute in den Schulen kämpfen, auch ohne eine bundesweite Strukturreform lösen.