Die Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts war eine Blamage für Ver.di, aber insbesondere auch die regierende CDU lehnt sich arg weit aus dem Fenster, wenn sie die Streikenden für schlechte und schlechter werdende Arbeitsbedingungen verantwortlich macht. Geht es noch um die Kinder? Ein Kommentar.

Die Gemengelage in der Auseinandersetzung zwischen Senat und Ver.di ist vertrackt. Es geht unter Anderem um Forderungen nach Entlastungen und die ganze Angelegenheit scheint tarifrechtlich so kniffelig zu sein, dass jede beteiligte Partei eine andere Auffassung hat, ob und wie diese denn überhaupt durchzusetzen sei und/oder überhaupt in den Geltungsbereich des Tarifrechts gehört.

Hinzu kommt, dass – auch bedingt durch die Trägervielfalt in Berlin – es unterschiedliche Auffassungen zwischen den Eigenbetrieben und den freien Trägern über Sinn, Notwendigkeit und Fairness dieser Auseinandersetzung gibt, sind doch die Eigenbetriebe beispielsweise bereits mit der „Hauptstadtzulage“ von 150 Euro pro Beschäftigtem und Monat ausgestattet, auf die die freien Träger seit Jahren warten.

Umso gespannter war ich auf das Urteil, das beim Landesarbeitsgericht Berlin für gestern Nachmittag erwartet wurde. Die Finanzverwaltung hatte gegen einen unbefristeten Streikaufruf von Ver.di ab dem 30.09.2024 geklagt.

Das Ergebnis: der Streik wurde untersagt, weil ein Streik nicht zulässig ist, solange ein Tarifvertrag ungekündigt ist. Offenbar hat man sich bei Ver.di dermaßen in Detailfragen verrannt, dass man dieses rechtliche Basic offenbar komplett übersehen hat. Peinlich für die Hausjuristen und eine Zumutung für alle weiteren Beteiligten, allen voran Kinder, Eltern und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Kitas.

Seitens des vorsitzenden Richters fiel das Stichwort „Friedenspflicht“. Lieber wäre mir allerdings eine „Zuhör- und Gesprächspflicht“, denn tatsächlich hat sich in dieser Auseinandersetzung nicht nur die Gewerkschaft blamiert, auch die Senatskoalition und insbesondere die für das Bildungsressort verantwortliche CDU hat sich nicht von ihrer besten Seite gezeigt.

In der „aktuellen Stunde“ des Abgeordnetenhauses ging es am Donnerstag (26.09.2024) um den angekündigten Streik in den Eigenbetrieben. CDU-Fraktionschef Dirk Stettner adressierte Ver.di in seiner Rede und warf der Gewerkschaft vor, die Mitarbeitenden zu instrumentalisieren (als wären diese keine eigenständig handelnden und denkenden Menschen), um in der Folge zu konstatieren „Ver.di produziert sehenden Auges Millionendefizite in unseren Eigenbetrieben.“

Die Schlussfolgerung seinerseits war, dass der Senat und die Koalition sich Gedanken über die Finanzierung und Zukunft der Eigenbetriebe machen müsste, wenn „Ver.di ständig dafür sorgt, dass die Betreuungsqualität schlechter wird“ und Eltern ihre Kinder deshalb abmelden und zu den freien Trägern wechseln. Dies würde notwendig, da die Finanzierung sehr maßgeblich von der Zahl der belegten Plätze abhängt. Wenn diese sinkt, sinken insofern auch die Zuweisungen des Landes, allerdings braucht es wohl schon eine gewisse Chuzpe, um als Vertreter der Arbeitgeberseite die Arbeitnehmenden für schlechte und schlechter werdende Arbeitsbedingungen verantwortlich zu machen.

Er wurde deutlich, als er ausführte: „Ich halte dieses Vorgehen von Verdi in höchstem Maße für illegitim, nicht verantwortungsvoll und nicht berechtigt. […] Nicht dem Land gegenüber, nicht dem Senat gegenüber, sondern unseren Eltern und unseren Kindern gegenüber […]“.

Ich bin als Bürger und Vater (auch, wenn ich keine Kinder mehr in Kitas habe) mit dieser Vereinnahmung („unsere Eltern und unsere Kinder“) durch den CDU-Fraktionschef nicht einverstanden, aber wenn ich einen Wunsch frei hätte, dann wäre es der, dass diese Verbundenheit, die hier ausgedrückt wird, künftig auch in anderen Ressorts handlungsleitend wird, beispielsweise, wenn es um die Aufteilung des öffentlichen Raums auch für Kinder und Schulwegsicherheit geht.

Nachdem auch Vertreter der anderen Fraktionen das Wort ergriffen hatten und ihre Position darstellten, kam die Bildungssenatorin zu Wort, um beinahe zu allererst zu unterstreichen, dass sie „eine fachliche Debatte führen möchte und deshalb einen Faktencheck machen“ wolle. Wenn man von ihrem direkten Vorredner von der AfD absieht, der, wie zu erwarten, auch für dieses Problem wortreich und ausschweifend Migranten verantwortlich zu machen versucht hat, drängte sich bei keinem weiteren Vorredner/Vorrednerin der Eindruck auf, es ginge ihm/ihr nicht um eine Sachdebatte oder Fakten. Wohl aber um unterschiedliche Perspektiven auf das Thema, unterschiedliche Prioritäten und wohl auch unterschiedliche Definitionen davon, ab wie vielen überlasteten Kitas man von einem strukturellen Problem sprechen muss, oder von „einzelnen Standorten, die in der Tat herausfordernd und von enormer Belastung betroffen“ sind (Senatorin Günther-Wünsch).

Sie listete auf, dass es auf den Homepages der Eigenbetriebe weder Forderungen nach Entlastungen, die Formulierung „Flächenbrand“ oder Hinweise auf mangelnde Qualität gäbe. Der Umstand, dass diese Webseiten in aller Regel von der Arbeitgeberseite, also landeseigenen Betrieben in der Aufsicht der Berliner Verwaltung verantwortet werden und nicht von der Personalvertretung und dass das Eine mit dem Anderen im Zusammenhang stehen könnte, fehlte leider im einordnenden Faktencheck der Senatorin.

Zahlenreich legte sie dar, in welchem Umfang weiteres – angesichts des Fachkräftemangels nicht vorhandenes – Personal benötigt würde, würde man den Forderungen von Ver.di nachkommen. Deutlich wurde sie, als sie Ver.di implizit vorwarf, die Trägerlandschaft zu spalten, weil Ver.di die 80% der Kitaplätze nicht im Blick hätte, die von freien Trägern gestellt werden, nachdem bereits in der Vergangenheit eine Spaltung entlang der „Hauptstadtzulage“ produziert worden sei. Leider fehlte der explizite Nachsatz „Dafür können aber die Eigenbetriebe nichts, sondern wir als aktueller Gesetzgeber sind jetzt dafür verantwortlich.

Über die Hauptstadtzulage und ihre Finanzierung gibt es seit Langem Diskussionen und auch die CDU-Fraktion scheint sich nicht einig zu sein, wie sie mit dieser umgehen möchte. Im Juli 2024 erklärte der Fachsprecher für Kinder und Familie, Roman Simon auf einem Podium im Beisein der Senatorin unter Applaus von Vertretern der freien Träger, dass die Hauptstadtzulage auch für sie käme. Fast genau zwei Monate später erklärte sein Fraktionskollege Goiny im Penum des Abgeordnetenhauses, dass das nicht so einfach ginge, weil das Tarifrecht davor stünde. Es stünde der CDU gut zu Gesicht, hier intern Klarheit im Interesse insbesondere der 80% herzustellen, bevor man anderen Spaltungen vorwirft und die Einen und die Anderen in der eigenen Argumentation gegenüberstellt. Dann lassen sich auch die Finanzierungen ingesamt leichter harmonisieren.

Senat und Gewerkschaft sind vom Gericht zurück in die Friedenspflicht geschickt worden. Es wäre sinnvoll für alle Beteiligten – allen voran Kinder und ihre Eltern – würden Gewerkschaft und Senat nicht nur miteinander reden, sondern sich gegenseitig auch zuhören. Dann bräuchte keine der beteiligten Seiten versuchen, Eltern oder Kinder für die eigene Argumentation einzuspannen, die können nämlich selbst für sich sprechen und dann käme es vielleicht doch noch zu tragfähigen Ergebnissen, bevor der nächste Jahrgang in die Kitas möchte.