Da versprachen der Regierende Bürgermeister und die Koalition bei Amtsantritt eine „unideologische Verkehrspolitik“, die die Interessen aller Verkehrsteilnehmenden in den Blick nähme und mal wieder erlebt man als Elternteil das komplette Gegenteil. Nachdem bereits der Radwegeausbau massiv eingestampft wurde, geht es nun auch darum, vor Schulen, Kitas und auch Senioreneinrichtungen wieder 50 Km/h statt lediglich 30 Km/h fahren zu können.

Beides, der Radwegeausbau und Zonen mit Tempolimits, sind wichtige Aspekte für die selbstständige Bewältigung von Schulwegen durch Kinder, für die der großstädtische Verkehr auch jetzt schon ein gewaltiges Hindernis sein kann und es oft auch ist. Hier bräuchte es massive Fortschritte im Sinne der Sicherheit von Kindern. Stattdessen erlebt Berlin einen Rückschritt nach dem Anderen.

Die CDU-geführte Hausspitze der Verkehrsverwaltung hat nun eine „Arbeitshilfe“ zur Tempoerhöhung erlassen und weil man bereits mit Protesten rechnet, hat man auch gleich hausintern angeordnet, dass Beschwerden der Hausspitze zur Kenntnis zu geben sind. Man will der Kritik scheinbar lieber medial vorbauen, statt vorab mit den Beteiligten zusammenzukommen und zu fragen, ob diese Idee mit der Lebensrealität von Menschen mit einer Körpergröße von unter 1,30 Metern oder der von älteren Bürgerinnen und Bürgern, die häufig unter Einschränkungen leiden, vereinbar sein könnte.

Als Elternteil frage ich mich

…was der gewichtige Anlass sein soll, der Tempo 50 vor Kindergärten, Schulen und auch Senioreneinrichtungen zwingend erforderlich macht und der Tempo 30 nur im Ausnahmefall nach Einzelfallprüfung rechtfertigt. Was ist wichtiger, als die Sicherheit von Kindern?

Wie so oft bei Themen, die auf Widerspruch stoßen könnten, impliziert der aktuelle Senat,  man würde auf Veranlassung Einzelner im Einzelfall doch eben bürokratisch prüfen, ob man nicht ausnahmsweise bei der alten Regelung, also Tempo 30 bleiben müsse.

Die im Ergebnis so entstehende Kommunikation, in deren Folge dann absehbar politisch komplett leere, weil mit keinerlei Handeln unterlegte Floskeln wie „Augenmaß“, „Gegenseitige Achtsamkeit“ und „Miteinander“ fallen, scheint mittlerweile zum Standardrepertoire des Senats zu gehören, sie löst aber kein einziges Problem.

Sie delegiert die Folgen falscher oder fehlender politischer Entscheidungen an die Bürgerinnen und Bürger, die das dann bitte unter sich aushandeln mögen. Und wer in der Aushandlung „Kind vs. KFZ“ die Auseinandersetzung verliert, wenn irgendwer mal nicht achtsam oder eine Querstraße schlecht einsehbar ist, kann man sich dann leicht ausmalen. Der Senat trägt die Verantwortung und darf sie auch nicht negieren oder delegieren.

Bürokratie

Wieder mal würde der Senat damit auch Bürokratie schaffen, die Bürgerinnen und Bürger aus Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder dazu treibt, Einzelfallprüfungen zu organisieren und sinnvolle Lebenszeit zu vergeuden. Mit einer Grundsatzentscheidung „Pro Kind“ würde der Senat sich und der Stadt eine Menge Arbeit ersparen.

Verkehrserziehung heute und die Lösung

In der Berliner Verkehrserziehung lernen Kinder insbesondere, wie wichtig es ist, nicht mit Autos zu verunglücken und was Kinder dafür tun könnten, dass das nicht passiert. Wie wäre es denn, wenn der Senat mal eine Verkehrspolitik betreiben würde, die nicht den Kindern diese Verantwortung überhilft, sondern stattdessen die Stadtplanung und die Verkehrsplanung dafür in die Verantwortung nimmt?

Wie wäre es, wenn die Hausspitze der Verkehrsverwaltung mal ihre Büros verlässt, ein paar Kindern Dashcams auf Fahrradhelme klemmt, diese dann durch die Stadt führt und sich hinterher auf den Kamerabildern anschaut, wie die Stadt aus der Perspektive von Kindern aussieht? Es ist keine Polemik, wenn ich schreibe, dass heutige SUV’s im Grundriss durchschnittlich genauso groß sind, wie mein Kinderzimmer vor 30 Jahren. Und sie sind zu hoch, als dass Kinder über sie hinweg schauen könnten.

Eine Verkehrspolitik, die die Bedürfnisse von Kindern in den Blick nimmt, wäre großartig. Damit Schulkinder auch ohne Polizeischutz im Rahmen angemeldeter Demonstrationen für mehr Schulwegsicherheit sicher mit dem Fahrrad zur Schule fahren können. Und ohne, dass sie Gefahr laufen, aufgrund fehlender Fahrradstreifen, zu engen Gehwegen, nicht einsehbaren Querstraßen, im Sichtfeld parkenden PKWs und zu schnell fahrenden PKWs zu verunfallen.