Von Prof. Dr. Gabriele Schlimper, Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin.
Seit mehreren Jahren unverändert gibt es immer wieder die Meldung, dass jedes 5. Kind in Deutschland in Armut lebt. Hier zeigt sich keinerlei Besserung und das ist inakzeptabel! Als Geschäftsführerin eines Wohlfahrtsverbandes und als Professorin für Sozialpolitik sehe ich täglich die prekäre Lage vieler Familien in unserer Stadt. Kinderarmut in Berlin ist ein ernstes Problem und erfordert umfassende Maßnahmen. Die Kindergrundsicherung bietet Chancen, aber weitere Schritte sind notwendig.
1. Kindergrundsicherung als wichtiger Schritt
Ab 2025 sollte die Kindergrundsicherung bestehende Leistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag bündeln. Dies schaffe eine Grundversorgung für alle Kinder. Für armutsgefährdete Familien wären zusätzliche Beträge vorgesehen, je nach Alter der Kinder. Diese Unterstützung sollte sich aus einem Garantiebetrag von 250 Euro und einem einkommensabhängigen Zusatzbetrag zusammensetzen. Nur ist leider ungewiss, wann dies tatsächlich kommt.
Einige bedürftige Gruppen, wie geflüchtete Kinder oder Kinder mit unsicherem Aufenthaltsstatus, bleiben häufig ausgeschlossen. Der Berliner Senat sollte darauf hinwirken, dass diese Reform inklusiver wird. Teilhabe und Chancengerechtigkeit dürfen nicht an bürokratischen Hürden scheitern.
2. Bildung als Schlüsselfaktor
Bildung spielt eine zentrale Rolle im Kampf gegen Kinderarmut. In Berlin bestehen erhebliche Ungleichheiten zwischen Möglichkeiten an den Schulen. Während der Corona-Pandemie wurde zudem auch deutlich, wie wichtig digitale Bildung ist, doch viele Schüler*innen aus einkommensschwachen Familien sind aufgrund fehlender IT-Infrastruktur benachteiligt.
Sozialarbeit ist entscheidend für die Kinderarmutsbekämpfung. Sie unterstützt Kinder und Familien in Krisensituationen und begleitet sie langfristig. An Schulen spielt die Sozialarbeit eine zentrale Rolle auch bei der Integration von benachteiligten Kindern.
Ein langfristiger Erfolg im Kampf gegen Kinderarmut erfordert ein gerechtes Finanzierungsmodell für alle Schulen. Schulen sind nicht nur Lernorte, sondern auch Lebensorte, die Kindern soziale Unterstützung bieten.
Der Senat muss sicherstellen, dass alle Schulen – unabhängig von ihrer Trägerschaft – fair finanziert werden, um allen Kindern in Berlin eine inklusive Bildung und soziale Förderung zu ermöglichen. Eine ausreichende IT-Ausstattung und IT-Administratoren sind dafür unerlässlich, um Chancengleichheit zu gewährleisten.
3. Kindesgesundheit und Armut
Kinder aus armutsbetroffenen Familien haben oft schlechteren Zugang zu gesunder Ernährung, medizinischer Versorgung und Gesundheitsprävention. Sie sind häufiger von chronischen Krankheiten betroffen und leiden unter psychosozialen Belastungen, die ihre körperliche und geistige Entwicklung beeinträchtigen können. Es braucht gezielte Maßnahmen: ein gesundes Schulessen, flächendeckende Vorsorgeuntersuchungen, niedrigschwellige Zugänge zu Sport- und Freizeitangeboten sowie eine Stärkung der gesundheitlichen Aufklärung in Schulen. Solche Initiativen können helfen, die gesundheitlichen Folgen von Armut zu mindern und den Kreislauf der Benachteiligung zu durchbrechen.
4. Bezahlbarer Wohnraum: Kinderarmut auf dem Wohnungsmarkt bekämpfen
Der angespannte Wohnungsmarkt verschärft die Situation von armutsbetroffenen oder alleinerziehenden Familien und trifft besonders Kinder hart. Hohe Mieten führen dazu, dass viele Familien in kleinen und oft weniger gut ausgestatten Wohnungen leben, was das Wohlbefinden der Kinder beeinträchtigen kann. Fehlende Rückzugsräume und unzureichende Wohnqualität erschweren ihre Entwicklung und Bildungschancen. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, braucht es verstärkte Investitionen in sozialen Wohnungsbau, besonders in benachteiligten Bezirken. Auch gezielte Mietpreisbegrenzungen und Unterstützung für Familien können helfen, kindgerechten und bezahlbaren Wohnraum zu schaffen und so die Lebensqualität für Kinder in diesen Vierteln zu verbessern.
5. Familie und Erziehung
Eltern in einkommensschwachen Haushalten stehen oft unter enormen Druck, was zu Stress und Belastungen führt, die sich auf die Erziehung auswirken können. Kindern fehlt es oft an materiellen Ressourcen, aber auch an emotionaler Unterstützung, da Eltern mit finanziellen Sorgen kämpfen. Um dies zu lindern, braucht es umfassende Unterstützung für Familien, etwa in Form von Erziehungsberatung und Zugang zu frühkindlicher Bildung. Zudem sollten Programme gestärkt werden, die Kinder unabhängig von der finanziellen Lage der Eltern fördern, etwa durch kostenfreie Freizeitangebote und Lernförderung.
Fazit:
Nur durch eine ordentliche finanzielle Unterstützung und durch gute und gezielte Prävention in den Bereichen Bildung, Wohnen und Sozialarbeit können wir Kinderarmut effektiv bekämpfen und allen Kindern die gleichen Chancen auf eine bessere Zukunft ermöglichen.
Über die Autorin:
Prof. Dr. Gabriele Schlimper ist Geschäftsführerin des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Landesverband Berlin.
Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin ist Dach- und Spitzenverband der freien Wohlfahrtspflege.
Ein ausführliches Podcastinterview mit Prof. Dr. Schlimper u.A. zur Bekämpfung von Kinderarmut finden Sie hier.