Im September eskalierte ein Streit zwischen dem Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung und der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie um die Zukunft der Landeszentrale und fand seinen Weg in das Plenum des Berliner Abgeordnetenhauses (ich berichtete seinerzeit hier u.A. mit Zitaten aus der Abgeordnetenhausdebatte).

Die Bildungssenatorin plant eine Stabstelle in ihrem Haus, die nach ihrer Aussage im Rahmen der Fachaufsicht unter Anderem „mehr Steuerung“ im „Wildwuchs“ der von der Landeszentrale beauftragten externen Träger und ihrer Angebote herstellen sollte. Weiterhin solle die Landeszentrale ihr Jahresprogramm und ihre Materialien mit der Stabstelle abstimmen. Der Koalitionspartner SPD, die Oppositionsparteien Bündnis90/Die Grünen und DIE LINKE sowie Teile der Zivilgesellschaft protestierten, da sie hierbei einen Angriff auf die Unabhängigkeit politischer Bildung, wenn nicht gar eine politische Einflussnahme sahen. Die ebenfalls in der Opposition befindliche AfD begrüßte das Vorhaben ausdrücklich.

Die Stabstelle sollte ursprünglich zum 01. Oktober ihre Arbeit aufnehmen, bisher ist das aber nicht erfolgt. Verschiedenste, auch parlamentarische Anfragen wurden zuletzt mit dem Hinweis auf hausinterne Abstimmungen inhaltlich kaum beantwortet bzw. deren Beantwortung für einen späteren Zeitpunkt angekündigt.

Die Fraktion der SPD lud in diesem Zusammenhang für den 20.11.2024 unter dem Titel „Politische Bildung und Demokratiestärkung in Berlin – Essenziell, aber auch unabhängig?“ zu einer Dialogveranstaltung ins „Jugendkulturzentrum PUMPE“.

Es ging, wie es der Name der Veranstaltung bereits verrät, um die Frage, wie es um die politische Bildung in Berlin bestellt ist und unter welchen Bedingungen sie stattfindet. Anlass für die Veranstaltung war offenkundig auch die oben beschriebene Debatte über die Einrichtung einer Stabstelle und die Überparteilichkeit politischer Bildung.

Ausrichter waren die bildungspolitischen Sprecherinnen und Sprecher der SPD-Fraktion, Maja Lasic und Marcel Hopp. Das Grußwort kam vom Fraktionsvorsitzenden der SPD, Raed Saleh. Ihm schloss sich Sozialsenatorin Kiziltepe (SPD) mit einem Beitrag an, bevor es in eine moderierte Diskussion zwischen Prof. Dr. Sabine Achour (Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der FU Berlin), Thomas Krüger (Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung) und Derviş Hızarcı (Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus) ging.

Ein prominent besetzter Abend zur politischen Bildung, deren Bedeutung Raed Saleh mehrfach herausstellte als Voraussetzung für ein demokratisches Gemeinwesen und die sich nicht in Bildung über die demokratischen Institutionen erschöpfen dürfe, sondern die das gesellschaftliche Miteinander im Blick haben müsse. Die politische Bildung sei eine notwendige Voraussetzung, um das demokratisches Gemeinwesen erhalten und entwickeln zu können.

Senatorin Kiziltepe stellte fest, dass die Demokratie heute unter Druck steht, wie noch nie seit Gründung der Bundesrepublik und dass politische Bildung notwendig sei, um dem Versuch von Einflussnahmen auf den Diskurs und auf Manipulationen von Meinungen im Vorfeld von Wahlen begegnen zu können. Sie seit notwendig, um Menschen kompetent zu machen, sich demokratisch zu beteiligen. Sie bewarb mehrfach das von ihr mit vorangetriebene Landesdemokratiefördergesetz.

Die Diskutant:innen auf dem Podium berichteten von ihrer jeweiligen Arbeit. Prof. Dr. Achour beschrieb eindrücklich die Anfeindungen und Übergriffigkeiten, die Demokratiebildner:innen zunehmend insbesondere von rechtsextremer Seite Erleben und dass dies eins der aktuell größten Probleme ist. Sie bezog in diese Schilderung auch Lehrkräfte in den Schulen ein, die sich autoritären und menschenfeindlichen Tendenzen entgegenstellen.

Dem stimmte Derviş Hızarcı zu und beschrieb zudem, dass bei Jugendlichen, aber auch Erwachsenen einerseits ein deutlich gestiegener Bedarf an politischen Bildungsangeboten besteht, dass dieser Bedarf aber kaum bis keinen Niederschlag in der Finanzierung politischer Bildung durch die Haushaltsgesetzgeber (Bund und Länder) findet.

Das Podium machte einmütig warnend darauf aufmerksam, dass oft fragwürdige „Angebote“ und Akteure in den sozialen Medien in diese „Bedarfslücke“ stoßen.

Thomas Krüger (Bundeszentrale für politische Bildung) stellte dar, dass es „Konjunkturen“ bei der Demokratieförderung gäbe und grenzte hierbei die beiden Teilthemen „Extremismusprävention“ und „politische Bildung“ ab. Während die zunehmend häufig nachgefragte Extremismusprävention einer „Verhinderungslogik“ folge, läge der politischen Bildung eine „Ermöglichungslogik“ zugrunde. Insbesondere Letztere braucht nachhaltig finanzierte Infrastrukturen, die jedoch zunehmend unter Druck gesetzt werden. Hierbei bezog er sich insbesondere auf die Finanzierung von Trägern, die ihre Angebote und ihr Personal nur bei zuverlässiger Finanzierung halten können.

Gleichzeitig unterstrich er, dass sich Demokratieförderung und politische Bildung nicht gegeinander stellen lassen dürfen, sondern sich ergänzen müssen und appelierte an die Gesetzgeber, hier zuverlässige rechtliche Grundlagen und Finanzierungen herzustellen.

Derviş Hızarcı schilderte, dass der schon immer vorhandene „Latente Antisemitismus“ mittlerweile nicht mehr „nur“ latent ist, sondern auch offen ausgelebt und ausgesprochen wird. Gerade in dieser Situation mache es ihm Sorge, dass die politische Bildung so unter Druck gesetzt wird. Es bereite ihm Sorge, dass der jahrzehntelange Konsens überparteilicher Steuerung der Landeszentrale unter Druck gesetzt wird, wie es aus seiner Sicht derzeit passiert.

Es war ein sehr nachdenklich machender Abend mit vielen Gesprächen auch im Nachgang zur Podiumsdebatte. Im Publikum saßen Vertreter etlicher weiterer Initiativen und Vereine, die im Bereich der Demokratiebildung tätig sind und die erkennbar besorgt sind.

Mein Eindruck war, dass der SPD-Fraktion die Gewährleistung politischer Bildungsarbeit wichtig ist. Umso mehr war ich überrascht, als ein paar Tage später bekannt wurde, dass die Haushälter der Fraktionen von CDU und SPD in ihren Verhandlungen ausgerechnet den Teilhaushalt der Landeszentrale für politische Bildung halbiert haben, aus dem die Zusammenarbeit mit externen Trägern bezahlt wird. Der Haushaltstitel, dessen Ausgaben die Senatorin als „Wildwuchs“ bezeichnete und der „mehr Steuerung“ benötige.

Die CDU-Fraktion war über die Kürzung „Überrascht“. Für die SPD war es ein „nicht gewollter technischer Unfall während der Haushaltsverhandlungen“ (Quelle). Ich persönlich habe mich gefragt, ob ich es schlimmer fände, würden Haushälter Kürzungen vornehmen, obwohl sie nicht wissen, was sie da kürzen, oder dass sie kürzen, obwohl sie wissen, worum es in dem Haushaltstitel geht und welche noch laufende Debatte da dran hängt. In jedem Fall ist es bemerkenswert, dass ausgerechnet dieser Haushaltstitel versehentlich und überraschend halbiert wird.

Der Landeselternausschuss hat unmittelbar nach der Entscheidung eine Stellungnahme hierzu veröffentlicht:

„Landeszentrale für politische Bildung ausreichend finanzieren! Die Mittelkürzungen bei der Landeszentrale für politische Bildung sieht der Landeselternausschuss Schule kritisch. Durch die Landeszentrale für politische Bildung geförderte Demokratieprojekte an Schulen dürfen keine Einschränkungen erfahren.“ (Quelle)

Der Landesschülerausschuss veröffentlichte (noch vor dem Ergebnis der Haushaltsgespräche) eine Stellungnahme, in der es u.A. heißt

„[…]Um auch außerhalb des Unterrichts einer solchen Gefahr entgegenzuwirken, fordern wir, dass die Landeszentrale für politische Bildung im Bereich „Social Media“ eine stärkere Rolle einnimmt und als Instanz gilt, die jugendgerecht über die aktuellen politischen Herausforderungen aufklärt und gezielt gegen Falschinformationen vorgeht.“ (Quelle)

Die CDU/SPD-Koalition, aber insbesondere die SPD-Fraktion wird angesichts der widersprüchlichen Signale zeigen müssen, wie ernst sie es mit der politischen Bildung in Berlin meinen möchte. Danke für den gelungenen Abend.