Der Vorgang um einen mutmaßlich gemobbten Berliner Lehrer einer Berliner Grundschule und der Umgang der Bildungsverwaltung und der Bildungssenatorin persönlich damit ging in die nächste Runde. Das Abgeordnetenhaus befasste sich am 26. Juni in der Fragestunde des Plenums und im Rahmen eines Missbilligungsantrags der Grünen mit dem Vorgang. Die Presselage, aber auch der Vorgang selbst werden komplexer.
Jüngste Entwicklungen:
- Senatorin Kiziltepe, SPD (Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Frauen, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung; „SenASGIVA“) traf sich mit dem Betroffenen. Dieser berichtet von einem emotionalen Treffen und erklärte, dass er sich von der Bildungssenatorin einen ähnlich sensiblen Umgang gewünscht hätte. Die Bildungssenatorin ihrerseits hat laut „Tagesspiegel“ einen Schulbesuch ihrer Senatskollegin verhindert.
- Ein Terminangebot aus den letzten Tagen von Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) lehnte der Betroffene ab, da er sich hierzu gesundheitlich nicht in der Lage sähe. Er sei weiterhin krankgeschrieben. Es wird von einer posttraumatischen Belastungsstörung berichtet.
- Der Betroffene hat Akteneinsicht gefordert, bekam von der Personalstelle der Bildungsverwaltung jedoch lediglich eine unvollständige Akte vorgelegt, in der wesentliche Teile fehlten. Die Bildungsverwaltung erklärte dies damit, dass die Schulaufsichten zusätzliche dezentrale Akten führen würden. Dies ist aus Sicht einer Arbeitsrechtlerin nicht zulässig.
- Abgeordnete werden am 30.06.2025 Akteneinsicht nehmen. Nachdem die Bildungssenatorin in den Sitzungen des Bildungsausschusses vom 05.06.2025 und in der Plenumssitzung des Abgeordnetenhauses am 12.06.2025 fehlerhafte Angaben dazu gemacht hat, wann sie von dem Vorgang Kenntnis erhalten hat, haben die Grünen einen Antrag auf Missbilligung der Senatorin durch das Abgeordnetenhaus gestellt.
- Senatorin Günther-Wünsch gab zuerst an, im Mai 2025 Kenntnis erhalten zu haben, musste aber einräumen, bereits früher Kenntnis vom Vorgang erhalten zu haben. Sie korrigierte dies öffentlich und erklärte ihr Bedauern über die Falschinformation.
Mit einigem Entsetzen schaue ich auf diesen Vorgang bzw. auf den Umgang damit. Was ist bekannt?
- Die Vorwürfe des Betroffenen gegenüber ehemaligen Kolleg:innen, Schulleitung, Schulaufsicht und die Senatorin, er wäre über Jahre von Schüler:innen gemobbt worden, weil er schwul ist und hätte keine Hilfe erhalten.
- Schilderungen anderer Lehrkräfte der Schule, die die Darstellung des Lehrers stützen,
- die Erklärung der Senatorin im Bildungsausschuss, die Presseberichterstattung weiche von dem ab, was in den Akten stünde.
- Der Zeitpunkt der Kenntnisnahme der Senatorin vom Fall. Dies war im Dezember 2024.
Offene Fragen (unvollständig):
- Warum hat der Betroffene von Schulleitung und Schulaufsicht über Jahre keine Hilfe erhalten?
- Wie kann es sein, dass die Rahmenbedingungen, die zu diesen Zuständen geführt haben, in der Schule bekannt waren und sind, ohne, dass diese abgestellt wurden?
- Warum sind Akten unvollständig geführt worden und welche Folgen hatte dies?
- Warum hat die Bildungssenatorin nicht bereits früher, nach Kenntnisnahme des Schreibens vom Dezember 2024 wirksam durchgegriffen?
Antworten auf die Fragen 1 – 3 blieben hier spekulativ ohne Kenntnis der Akten (und werden es wohl auch bleiben), weshalb ich diese hier ausklammere.
Worum es geht
Um die Frage, ob die Senatorin bereits im Dezember 2024 Kenntnis hatte, oder erst im Mai 2025. Hierbei geht es nicht um eine Kleinigkeit, sondern um die Frage, wie es sein kann, dass die Senatorin nicht bereits früher angemessen reagiert hat. Die „AV Gewalt, Notfälle und Krisen“ gilt zwar für Schulen und nicht für Senatorinnen, aber warum sollte für eine Senatorin anderes gelten, als für ihre nachgeordneten Mitarbeitenden?
In der Ausführungsvorschrift heißt es in Punkt 3:
Handeln und Kommunizieren bei schweren Gewaltvorfällen, Notfällen und Krisen
„In einer Notfallsituation gilt in der nachstehenden Abfolge:
a. sofortige Hilfe und Unterstützung für alle Betroffenen leisten,
b. die Fürsorgepflicht gegenüber den Schülerinnen und Schülern sowie dem gesamten Schulpersonal
wahrnehmen,c. schnelle und verlässliche Kommunikations- und Informationswege […] sicherstellen.“
Aus der „Ausführungsvorschrift Gewalt, Notfälle und Krisen“
Dies ist offenkundig nicht passiert und die Frage ist die nach dem „warum?“ unabhängig von der Frage, worin die Krise im Detail bestand (das wird nur eine Kenntnisnahme der Akten hergeben).
- Fand die Senatorin den Vorgang nicht hinreichend wichtig, um ihm ausreichend Nachdruck zu verleihen? (dann wäre das ein ernsthaftes Problem), oder
- hat sie dem Vorgang hinreichend Nachdruck verliehen, ihre Verwaltung ist dem aber nicht nachgegangen? (auch das wäre ein ernsthaftes Problem).
In beiden Fällen trüge die Senatorin die politische Verantwortung für das Ergebnis.
Die Art der Aktenführung führte dazu, dass erst ein knappes halbes Jahr später, im Mai 2025, nach expliziter Anforderung des Vorgangs durch die Senatorin infolge einer parlamentarischen Befassung, herausgefunden wurde, dass die Senatorin den Vorgang schon einmal auf dem Tisch hatte. Auch das ist ein Problem.
Hinzu kommen die Fragen,
- weshalb die Bildungsverwaltung dem Betroffenen selbst dann nur unvollständige Akten zur Einsicht gibt, wenn sogar die Hausleitung in den Vorgang involviert ist. Und daraus abgeleitet, aber auch grundsätzlich:
- warum führt die Bildungsverwaltung mutmaßlich rechtswidrig dezentrale Akten mit der Folge, dass Betroffenen nicht geholfen wird und Vorgänge nicht nachvollzogen werden können?
Plenumssitzung des Abgeordnetenhauses am 26.06.2025
Welche Erkenntnisse habe ich mir von dieser Sitzung erhofft? Dass der Antrag der Grünen keine Mehrheit finden würde, war absehbar. Es gab zwar wahrnehmbare, auch öffentlich geäußerte, Kritik aus der SPD an der Amtsführung der CDU-Bildungssenatorin, es war aber nicht erkennbar, dass man deshalb die Koalition sprengen würde, was wohl die Konsequenz eines solchen Abstimmungsverhaltens wäre.
Was ebenfalls absehbar war: dass keine Details zum Fall besprochen würden, was allein schon mit Persönlichkeitsrechten des Betroffenen zu tun hat.
Mich hat interessiert, wie offensiv die Koalition in die Kommunikation zum Vorgang geht und wie über den Fall und den Antrag der Grünen gesprochen wird. Oft ist der Erkenntniswert höher, wenn man drauf achtet, wie über ein Thema gesprochen wird, als wenn man darauf hört, was über ein Thema gesprochen wird. Und auch, wenn man darauf achtet, wer über ein Thema spricht und wer nicht.
Fragestunde.
Die erste Frage ging (regulär nach der Größe der Fraktionen) an die CDU-Fraktion. Auftritt des parlamentarischen Geschäftsführers der CDU-Fraktion, Heiko Melzer. Parlamentarische Geschäftsführer tauchen in Plenumsreden häufig dann auf, wenn Themen so wichtig sind, dass sie auf der Ebene der Fraktionsführung geregelt werden müssen, aber so unangenehm sind, dass man nicht den Fraktionschef vorausschicken und das Thema zusätzlich aufwerten möchte. Parlamentarische Geschäftsführer („PGFs“) sind im Zweifel auch diejenigen, die im Hintergrund Mehrheiten organisieren, oder Reihen schließen. Insofern ist allein diese Personalie ein Signal. Die CDU hat sich entschieden, das Thema selbst zu setzen und das nicht der Opposition zu überlassen. Er liest ab:
„Die Senatorin für Bildung, Jugend und Familie hat am vergangenen Freitag eine persönliche Erklärung abgegeben gegenüber der Öffentlichkeit. Da ging es auch um einen Vorgang hier im Parlament. Deswegen frage ich den Senat, ob sich die Senatorin auch gegenüber dem Abgeordnetenhaus erklären möchte.“
Präsidentin Seibeld: „Frau Senatorin Günther Wünsch, bitte schön.“
Senatorin Günther-Wünsch (CDU):„Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, vielen Dank, dass ich mit dieser Frage auch die Möglichkeit bekomme, mich gleich zu Beginn der Fragestunde auch hier im Abgeordnetenhaus öffentlich zu erklären. In meiner öffentlichen Erklärung am vergangenen Freitag habe ich öffentlich gemacht, dass ich im Bildungsausschuss am 5. Juni und im Plenum am 12. Juni eine nicht den Tatsachen entsprechende Aussage zum Zeitpunkt eines Schreibens gemacht habe, wann es mir vorgelegen hat. Ich möchte heute die Gelegenheit hier und jetzt nutzen und auch ergreifen, um mich sowohl bei der Öffentlichkeit als auch bei Ihnen, sehr geehrte Fraktionäre, für diese falsche Erinnerung meinerseits zu entschuldigen.
Präsidentin Seibeld: „Vielen Dank, Frau Senatorin. Dann geht die erste Nachfrage an den Kollegen Melzer, bitteschön.“
Heiko Melzer (CDU):„Vielen Dank, Frau Senatorin. Haben Sie in der Zwischenzeit aufklären können, wie es zu den ursprünglich gemachten Angaben kommen konnte? Also einerseits Erinnerung, klar, Andererseits aber gibt es irgendeinen Prozess, der auch nicht richtig funktioniert hat.“
Präsidentin Seibeld: „Frau Senatorin Günther Wünsch, bitteschön.“
Senatorin Günther-Wünsch (CDU): „Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, die von mir gemachten Angaben beruhten auf dem damaligen Stand der internen Prüfung. Wir haben ein elektronisches Postbuch, wie wahrscheinlich alle Fachverwaltungen. In diesem elektronischen Postbuch war weder zu entnehmen, dass dieses Schreiben mir vorlag, noch dass ich es verfügt hätte. Erst durch eine weitere Prüfung, eine nochmalige Prüfung von mir erbetene Prüfung der Akten, haben ergeben, dass mir das Schreiben bereits am 4. Dezember vorgelegen hat. Und da mir angesichts der Komplexität des Sachverhalts eine Transparenz äußerst wichtig ist, habe ich am selben Tag, wie mir diese Information zugekommen ist, die Öffentlichkeit darüber informiert.„
Präsidentin Seibeld: „Vielen Dank, Frau Senatorin. Die zweite Nachfrage geht an den Kollegen Schmidt. Bitte schön.“
Stephan Schmidt (CDU):„Vielen Dank, Frau Präsidentin. Frau Senatorin, Sie haben von Transparenz gesprochen. Was erwarten Sie sich von der gemeinsamen, Akteneinsicht von Abgeordneten am Montag?“
Präsidentin Seibeld: „Frau Senatorin, bitte schön.“
Senatorin Günther-Wünsch (CDU): „Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Abgeordnete, Sie haben es gerade eben schon erwähnt, Herr Schmidt, das Ziel und auch mein Ziel ist es, größtmögliche Transparenz herzustellen, denn sie ist die Voraussetzung dafür, die notwendigen, aber auch die richtigen Ableitungen. aus dem ganzen Sachverhalt zu ziehen. Und dafür ist es selbstverständlich, eine Erkenntnis des gesamten Sachverhaltes zu haben.
Und aus meiner Sicht ist, wie gesagt, der Sachverhalt nach wie vor sehr komplex. Und deswegen erhoffe ich mir aus der Akteneinsicht zum einen diese Transparenz für alle, zweitens einen tiefgehenden Austausch auch hier im Plenum und drittens eine fundierte Grundlage, die wir alle benötigen zur Bewertung von dann zutreffenden Ableitungen. Vielen Dank.“

Offenkundig hat die CDU sich entschieden, das Thema als ablauforganisatorische Fragestellung zu behandeln und die mangelnde Transparenz daraus abzuleiten. Diese möchte man nun beheben. Warum die Senatorin oder ihre Verwaltung das Schreiben vom Dezember 2024 nicht hinreichend ernst genommen haben (mit der Folge, dass dem Betroffenen nicht umgehend geholfen wurde), blieb offen, genauso wie die Bitte um Entschuldigung an den Betroffenen. Mit ihrer „Selbstentschuldigung“ wandte die Senatorin sich in ihrer Rede lediglich an Öffentlichkeit und Parlament.
Die angekündigte Transparenz im Zusammenhang mit der Akteneinsicht der Abgeordneten wird zur öffentlichen Debatte absehbar wenig beitragen, da ebenso absehbar ist, dass diese Akteneinsicht der Abgeordneten und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen bereits jetzt von anderen und parteipolitischen Erwägungen überlagert werden.
Die bisherige Debatte und die Art, wie sie geführt wurde (oder nicht geführt wurde; je nach Perspektive) haben der Aufklärung des Vorgangs geschadet. Der Umgang der Senatorin mit dem Parlament und dem zugehörigen Bildungsausschuss in diesem Zusammenhang bleibt trotz Selbstentschuldigung kritikwürdig. Die wesentlichen Fragen blieben bis zu diesem Punkt offen, wurden aber auch in der weiteren Fragestunde nicht mehr gestellt. Das Thema wurde erneut im späteren Tagesordnungspunkt zum Missbilligungsantrag der Grünen aufgegriffen.
(Die Videoaufzeichnung zur Debatte kann hier nachgeschaut werden)
Louis Krüger (Bündnis ’90/Die Grünen, schulpolitischer Sprecher) begründete den Antrag seiner Fraktion mit den fehlerhaften Aussagen der Senatorin gegenüber Ausschuss und Parlament. Ein solches Verhalten könne das Parlament nicht hinnehmen.
“ Im Kontext der Diskriminierungs und Mobbingvorfälle […] behauptete die Senatorin Katharina Günther Wünsch am 5. Juni 2025 im Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie, dass ihr der an sie gerichtete Brief der Lehrkraft vom 4.Dezember 2024 nicht persönlich vorgelegen hätte.
Diese Behauptung wiederholte sie auf Nachfrage des Kollegen Wesener in der Plenarsitzung am 12. Juni 2025. Wie die Senatorin am 20. Juni in einer Erklärung an die Presse einräumen musste, handelt es sich dabei um eine Falschaussage. Und das ist kein Missgeschick oder blöd gelaufen. Die Senatorin hat mit der Falschaussage eine persönliche Verantwortung abgestritten, die jetzt klar ist, fälschlicherweise.
Eine Verantwortung übrigens, der sie bis heute in keiner Weise nachgekommen ist und von der sie auch eine Entschuldigung nicht entbindet. Wie gehen wir nun also damit um? Wir müssen ein klares Zeichen setzen. Wenn in diesem Haus die Unwahrheit gesagt wird, können wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Das ist kein Antrag der Opposition gegen die Regierung.“

Auf den Antrag antwortete für die Koalition Heiko Melzer (CDU). Auffällig ist, dass er sich zum eigentlichen Vorgang nicht geäußert hat, sondern hauptsächlich Form und Wortwahl des Antrags der Grünen kritisiert.
Heiko Melzer (CDU): Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, ich hab eigentlich gedacht, der Antrag der Grünen ist nur ein tiefer Griff in die Mottenkiste der Opposition und wir könnten gemeinsam feststellen, die Grünen sind jetzt endgültig in der Opposition angekommen und weiter im Text gehen. Aber wenn ich mir anhöre, was der Vorredner hier gesagt hat, eine Mischung aus völlig überzogenem Pathos und Unwahrheiten, dann lohnt es sich tatsächlich, darüber intensiver zu reden und diese Aufgabe auch zu führen. Und meine Damen, meine Herren, zu der Tradition von Missbilligungsanträgen gehört dann auch hier im Parlament, dass das Ritual erfolgt, dass es ausreicht, dass für die Koalition mit einer Stimme dann nur ein Redner spricht.“
Stilistisch ist es der Versuch, das Instrument des Missbilligungsantrags als „Spielchen“ zu deklarieren. Ein „Griff in die Mottenkiste“. Das vorletzte Mal, als ein Mitglied des Abgeordnetenhauses in diese „Mottenkiste“ griff, war es bemerkenswerterweise die damalige Abgeordnete Katharina Günther-Wünsch (CDU), die im Mai 2022 einen Antrag auf Missbilligung der Arbeit der damaligen Bildungssenatorin Busse (SPD) eingebracht hat.
Unterzeichner des Antrags: die heutige Bildungssenatorin Günther-Wünsch und der damalige Fraktionsvorsitzende Kai Wegner. Parlamentarischer Geschäftsführer war seinerzeit Heiko Melzer. Diese Passage fühlt sich für mich beim Schreiben an, wie eine halbgar-mittelklassige Replik im Plenum, aber man kann diese Darstellung an dieser Stelle auch nicht „liegenlassen“. Man kann (und muss es fast) dieses Agieren als Bemühen verstehen, dieses wichtige Thema als parteipolitische Befindlichkeit zu labeln und es von einem mutmaßlich falschen Umgang der Senatorin mit dem Vorgang zu einer Befindlichkeit der Opposition zu verdrehen.
Heiko Melzer (CDU) weiter: „Ihr Antrag ist unwahr, er ist ungenau und kommt zur Unzeit. Und ich will Ihnen das auch gerne begründen: Sie sprechen von, Falschbehauptungen und Falschaussagen. Sie haben das gerade eben auch noch mal konnotiert, und Ihr Redner hat es in seiner Rede eben auch noch mal gesagt. Mit solchen Unterstellungen sagen Sie letztlich, ein Senatsmitglied lügt das Parlament an. Sie unterstellen der Senatorin, bewusst gelogen zu haben.“

Rechtlich betrachtet hat er hier einen Punkt: der Vorwurf der „Falschaussage“ kann als Unterstellung gelesen werden, jemand hätte bewusst gelogen. Aus dem Kontext der Argumentation der Grünen lässt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, dass die Grünen der Senatorin Absicht unterstellt hätte, sondern mangelnde Sorgfalt, aber wenn man der Senatorin vorwirft, nicht sorgfältig gearbeitet zu haben, sollte eine solche Formulierung nicht passieren.
Heiko Melzer weiter:„[…] Es handelte sich um einen Fehler. Dieser Fehler wurde zugestanden, dieser Fehler wurde in der Öffentlichkeit aufgenommen und dafür hat sich die Senatorin entschuldigt. Heute hat sich die Senatorin hier vor dem Abgeordnetenhaus ebenfalls entschuldigt. Das war die erste Möglichkeit hier im Plenum dazu Stellung zu nehmen und die erste Gelegenheit hat sie ergriffen. Insofern, es stimmt einfach nicht, weil Sie sagen, es sind Falschbehauptungen und Falschaussagen. Es gab einen Verfahrensfehler und jetzt ist entscheidend, wie geht man mit Fehlern um.“
Wie bereits in der Fragestunde erkennbar wurde, möchte die CDU diesen Vorgang zum „Verfahrensfehler“ degradieren. Ist es eine bewusste Herabsetzung, oder versteht die Fraktion tatsächlich nicht, was das Problem ist?
„Trotzdem können wir natürlich darüber abstimmen. Ich will aber auch deutlich sagen, eigentlich müssten Sie sich jetzt noch mal prüfen, auch auf eigene Fehler prüfen, ob es richtig war, mit Unterstellungen und Unwahrheiten zu arbeiten und prüfen, ob es vielleicht angebracht ist, für die überzogene Darstellung ebenfalls um Entschuldigung zu bitten. Der heutigen Abstimmung sehen wir deswegen sehr gelassen entgegen, meine Damen und Herren.“
Dieser Auftritt wirkte jedoch wenig „gelassen“.
Er wollte wohl noch einen Punkt machen, als er den Grünen vorwarf, mit der „Gelbhaar-Affäre“ vor der eigenen Tür kehren zu müssen, aber wo wollte er mit dieser Argumentation hin? Wollte er sagen, dass die Senatorin sich ebenso verantwortlich gemacht hat, wie die Grünen in der Causa Gelbhaar? Oder dass die Opposition doch bitte keine Kritik mehr üben soll? Ich hätte von ihm gern etwas zum Fall des mutmaßlich gemobbten Lehrers gehört.
Vielleicht so etwas wie ein aufrichtiges Bedauern, oder den Versuch einer Problemanalyse. Vielleicht sogar so etwas wie „Wir arbeiten als Parlament und Fraktion den Fall auf und machen nicht nur den Stichwortgeber für eine Senatorin, die in der Kritik steht.“
Louis Krüger und Heiko Melzer erwiderten jeweils nochmal auf ihre jeweiligen Antworten, bevor Franziska Brychcy (DIE LINKE) ans Pult trat. Sie erklärte in Richtung Senatorin „Aber dennoch bleibt der Eindruck, dass von der Bildungsverwaltung und auch von Ihnen als Bildungssenatorin die homophobe Diskriminierung bis hin zu der dokumentierten Gewalt, also es gab ja einen Vorfall, der auch dokumentiert ist gegen den betroffenen Lehrer, über mindestens zwei Jahre nicht mit der nötigen Ernsthaftigkeit und Sorgfalt behandelt wurde.
Und wenn das der Fall ist, ist das verantwortungslos. Und das missbilligen wir. Und ich hätte schon erwartet, dass Sie alles in Ihrer Macht Stehende tun, um den Fall aufzuklären in Ihrem Haus und entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Und dazu gehört auch, dass die Schulgemeinschaft an der betroffenen Schule schnell und unbürokratisch unterstützt wird […].“

Die SPD-Fraktion verzichtete auf eine Wortmeldung und ließ die CDU das Wort für die Koalition führen.
Der Bildungspolitische Sprecher der AfD wollte in seinem Beitrag nicht unerwähnt lassen, dass er für Queerfeindlichkeit in Schulen den Islam verantwortlich macht.
Er führte zudem aus: „Schulen müssen Orte sein, an denen Diskriminierung in jeglicher Form, sei sie religiös motiviert, homophob, sexistisch oder rassistisch, klar erkannt und konsequent geahndet werden.“
Ich würde ihm zu dieser Einsicht gratulieren wollen, aber dies formulierte er tatsächlich auf Tag und Stunde genau eine Woche nach einer Sitzung des Bildungsausschusses, in der er sinngemäß erklärte, die Berliner Schülerinnen und Schüler seien deshalb nicht gut in Mathe und Deutsch, weil sie sich in der Schule auch mit Themen wie Antidiskriminierung und der Akzeptanz queerer Lebensweisen auseinandersetzen müssten. Nun ja.
Was bleibt von dieser Sitzung?
Der Eindruck, dass weder die CDU-Fraktion, noch die Bildungssenatorin die Dimension des Problems begriffen haben, oder begreifen wollen und dass die SPD-Fraktion in ihrer Positionierung zu diesem Fall mindestens ambivalent agiert. Die Sozialsenatorin trifft sich mit dem Betroffenen, der von einer emotionalen und einfühlsamen Begegnung berichtet, aber die Fraktion bekommt im Plenum keine Positionierung hin.
Es geht um Menschen und auch um die Frage, weshalb die Bildungsverwaltung (nicht erst und nur in diesem Fall) strukturell nicht in der Lage ist, Diskriminierungsbetroffene zu schützen. Warum es im Verantwortungsbereich der Bildungsverwaltung seit Jahren häufig nicht ohne Medien möglich ist, auf Misstände hinzuweisen und weshalb es „mit Medien“ zu einem solch unwürdigen „Spektakel“ kommen muss.
Es handelt sich bei Fragen der Antidiskriminierung nicht um „weiche Themen“, sondern um „Basics“. Einerseits, weil es um Menschen mit einem Anspruch auf den Schutz ihrer Würde geht und auch um Menschen, die das Berliner Bildungssystem dringend braucht, um an vielen Stellen überhaupt noch halbwegs funktionieren zu können.
Solche „Vorgänge“ schaden nicht „nur“ Menschen (was schlimm genug ist), sondern auch dem Ansehen der Stadt und der Attraktivität der Berliner Bildungseinrichtungen als Arbeitgeberinnen. Es wirkt auch auf Kinder: was soll man Kindern über den respektvollen Umgang miteinander erzählen, wenn Erwachsene, insbesondere die in verantwortlichen Positionen, einen solchen Umgang vorleben?
Als Vater von Kindern in diesem System bin ich erschrocken darüber, dass diese Debatte so geführt werden muss, weil es den Verantwortlichen offenkundig anders nicht möglich ist.
Nach über zehn Jahren als Elternvertreter bin ich nicht (mehr) naiv, was den Zustand unseres Bildungswesens angeht und bezüglich der Folgen, die daraus erwachsen. Es macht mich aber zunehmend ratlos, in welchem Maße sich Probleme zunehmend „unter dem Brennglas“ sowohl im täglichen Erleben „vor Ort“, als auch beim Begleiten der politischen Debatte zeigen.
Und ich bin ratlos, weil die zuständige Senatorin als oberste Dienstherrin offenbar zwar bereit ist, die Aktenführung in ihrem Büro, aber nicht das Schicksal der langzeiterkrankten (gute Besserung!) Lehrkraft öffentlich zu bedauern.
Bilder: Screenshots aus dem Videostream der Parlamentssitzung.