Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister,
wie dem Tagesspiegel zu entnehmen ist, arbeitet der Senat „mit Hochdruck“ daran, die mittägliche Belieferung der Schulen mit Essen sicherzustellen. Das freut mich. Nachdem ein Caterer im Vergabeverfahren deutlich mehr Schulen zur Belieferung zugeschlagen bekam, als er beliefern kann, kam das Essen an vielen Schulen entweder gar nicht, oder zu spät, oder in zu geringen Mengen, oder aber in einer Qualität, die nicht hinnehmbar war.
Warum der Caterer nicht irgendwann „Halt, zu viele Verträge, ich hab die Kapazitäten gar nicht!“ oder die Verwaltung „Halt, zu viele Verträge, der hat die Kapazitäten gar nicht!“ gerufen hat, blieb bisher unklar, aber ich vertraue auf Aufklärung und Lösung mit dem zugesagten „Hochdruck“.
Sie schlussfolgern aus diesem Verwaltungsversagen leider, dass Ihre mittlerweile nicht mehr ganz neue Forderung, das kostenbeteiligungsfreie Mittagessen in Berlin wieder abzuschaffen, richtig sein müsse. In anekdotischer Überzeugung schildern Sie:
„Ich glaube, dass es in Berlin ganz viele Eltern mit einem guten Einkommen gibt, die sagen, ich würde gerne einen Beitrag – wie in fast jedem anderen Bundesland – leisten und dafür ist die Qualität dann aber besser“.
Da in dieser Debatte scheinbar ein paar Dinge immer wieder durcheinandergehen, möchte ich das mal etwas auseinanderdröseln. Ich beschränke mich dabei weitgehend auf Verwaltungsaspekte. Zu den anderen Aspekten und guten Gründen für eine Kostenbeteiligungsfreiheit haben sich andere schon deutlich geäußert.
Was ist der aktuelle Stand?
Bei der Qualität des Mittagessens ist das Land Berlin im Gegensatz zu Ihrer Aussage im Ländervergleich sogar relativ weit vorne. Die Bildungsverwaltung wird Ihnen hierzu sicherlich gern nähere Auskünfte erteilen.
Dass das Schulmittagessen von der Qualität her dennoch ein Schulmittagessen und kein (beispielsweise) Kantinenessen mit täglich 4 bis 5 verschiedenen Menüs ist, liegt wohl in der Natur der Sache und ich bin mir auch nicht sicher, ob das Land Berlin mit den dafür nötigen Preisen in seinen Ausschreibungen aufwarten möchte (was übrigens nicht bedeuten soll, dass mehr Qualität nicht wünschenswert wäre).
Ein Mittagessen an Grundschulen kostet derzeit laut Angaben des Verbands deutscher Schul- und Kitacaterer durchschnittlich 4,20 Euro. Wenn Sie den Angebotspreis raufsetzen wollen, um mehr Qualität zu bekommen (und die Kostenbeteiligung zu rechtfertigen), müssten Sie auch wenigstens sagen, bis zu welchem Preis, denn dann wird es spannend.
Etwa ¼ der Berliner Kinder lebt in Armut, was (nicht nur nebenbei bemerkt) ein sozialpolitischer Skandal ist. Die Eltern dieser Kinder blieben in jedem Fall zuzahlungsbefreit. Das bedeutet, dass zuallererst eine erhebliche Kostensteigerung im Landeshaushalt für diesen Teil der Berliner Kinder „ins Haus steht“, wenn man den Angebotspreis erhöht.
Faktisch werden es zudem wohl mehr als diese rund 25% sein, da Einkommen in den unteren Einkommensschichten aufgrund vieler Faktoren häufig Schwankungen unterworfen sind und Eltern somit mitunter entlang der Armutsgrenze „pendeln“. Aber die Berliner Verwaltung wird sich sicherlich freuen, die Kostenbeteiligung alle 6 oder 12 Monate, je nach Dauer des Leistungsbescheides fürs Bürgergeld oder den Kinderzuschlag nachzurechnen und neu zu bescheiden, oder nachträglich Steuerbescheide anzufordern und Korrekturrechnungen über 50€ für das zurück liegende Jahr vorzunehmen und sich ggf. mit Widersprüchen herumzuschlagen, weil der Senat Sorge hat, jemand könnte für irgendeinen Monat 3,50€ zu wenig gezahlt haben.
Hinzu kommt: die Mittagsverpflegung mit Kostenbeteiligung hatten wir schonmal und sie bedeutete auch in den Schulen einen erheblichen Verwaltungsaufwand. Die Bildungssenatorin als ehemalige stellvertretende Schulleiterin wird das wissen und viele andere hundert Schulleitungen wissen das auch. Diese Verwaltungsarbeit wurde in sehr vielen Fällen von pädagogischem Personal übernommen, da die im Schnitt halbe Verwaltungsleiterstelle pro Grundschule das schlichtweg schon zeitlich nicht hergibt.
Eine solche Wiedereinführung würde insofern absehbar bedeuten:
- Ein riesiger Verwaltungsaufwand in heute schon überforderten Bezirksämtern, aber wenig „Erlös“, da ein mittlerer zweitstelliger Prozentsatz der Kinder ohnehin befreit bliebe, oder nur sehr geringe Beiträge zahlen würde,
- Pädagogisches Personal in den Schulen, das Verwaltungsarbeit machen muss und somit keine Zeit hat, sich um Kinder zu kümmern (ironischerweise ausschließlich, damit gut situierte Eltern einen Beitrag leisten können mit dem sie das Gegenteil erreichen sollten).
- Absehbar kaum oder keine Einsparungen, da die Verwaltungskosten plus höhere Ausgaben fürs Mittagessen (das war Ihre Argumentation für mehr Qualität) diese großteils auffressen.
Ihrem Argument, man könne frei werdendes Geld in Lehrkräftestellen stecken, kann ich nicht folgen, da die Argumenation widersprüchlich ist. Geht es um weniger Ausgaben (Haushalt!) oder geht es um höhere Ausgaben (Qualität und Lehrkräfte)?
Es brächte auch keinen Mehrwert, Geld für Lehrkräftestellen bereitzustellen, die schon heute nicht besetzt werden können.
Die von Ihnen genannten Kinder, die sich wie Ihr Sohn (das schilderten Sie in dem oben verlinkten Artikel) mittags am Kiosk oder beim Bäcker verpflegen, fallen aus der Kostenfreiheit, wie auch Ihrer Argumentation raus, da es sich hierbei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit um Schülerinnen und Schüler weiterführender Schulen handelt, für die die Kostenbeteiligungsbefreiung auch heute schon nicht gilt.
Und nun?
Es gab mal einen Regierenden Bürgermeister, der sich um Chancengleichheit für die Kinder dieser Stadt unabhängig von ihrer sozialen Herkunft bemüht hat, der später als Bundeskanzler deshalb auch das Bafög eingeführt hat und der den Satz „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ geprägt hat.
Bitte verzwergen Sie diesen Anspruch Ihres Vorvorvor….vorgängers nicht in „Wir wollen mehr Bürokratie wagen“, sondern sorgen Sie dafür, „dass diese Stadt funktioniert“, wie Sie es im Wahlkampf versprochen haben. Zum Beispiel, indem sichergestellt wird, dass Caterer nicht mehr Verträge unterschreiben, als sie erfüllen können.
Ganz grundsätzlich könnte man auch dazu übergehen, das Bildungswesen „vom Kind aus“ zu denken und nicht von der Verwaltung oder vom Haushalt her. Und wenn Sie der Ansicht sind (die ich unbedingt teile), dass starke Schultern mehr tragen sollten, als schwächere Schultern, dann sprechen Sie doch mal bitte mit dem Bundesfinanzminister.
Mir persönlich wäre eine Beteiligung via Steuerbescheid deutlich lieber, als eine Beteiligung an der Essensausgabe. Das wäre auch mal ein Signal an alle Eltern, dass die Gesellschaft bereit ist, Verantwortung für die kommenden Generationen zu übernehmen und sich für Eltern nicht immer wieder nur neue Gebühren oder Kostenbeteiligungen auszudenken, um Haushaltslöcher zu stopfen.
Freundliche Grüße
Marco Fechner
Ein anekdotischer Nachtrag:
Vor 4 Monaten, im Mai 2024, bekam ich vom Bezirksamt Pankow eine endgültige Festsetzung von Kostenbeteiligungen für meine Kinder aus den Jahren 2015 bis 2019. Es ging unter Anderem um Kitabeiträge, die nochmal nachberechnet wurden, da ich seinerzeit selbstständig tätig war und die Festsetzung bis zur Vorlage des Steuerbescheides nur vorläufig gewesen ist.
Das Land Berlin hat für die endgültige Festsetzung der Beiträge für das Jahr 2015 somit sage und schreibe neun Jahre benötigt und am Ende für die Jahre 2015 bis 2019 insgesamt etwas weniger als 300€ an mich zurücküberwiesen. Man hat es vorher wohl zeitlich nicht geschafft und ich war wohl nicht der Einzige in dieser Stadt, dem „sowas“ passiert ist.
Ich habe den Eindruck, dass die Bezirksämter gerade drängendere Themen hätten, als das monatsscharfe Nachhalten von jeweils ein- bis zweistelligen Kostenbeiträgen pro Kind. Und die Schulen sowieso.