Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten in einer Produktionsfirma, haben aber zu wenig qualifiziertes Personal und zu wenig Produktionsplätze. Ihre Führungskraft weist Sie an, 20 % mehr zu produzieren als mit den vorhandenen Mitteln möglich ist. Wie? Hey, das ist ihr Problem, Sie dürfen Verantwortung für Ihren Bereich übernehmen, wer ist ihre Führungskraft, Sie zu gängeln?
Vermutlich würden Sie dort nicht gern arbeiten und sich beizeiten nach etwas Besserem umsehen. Ähnliches passiert in Berlins Schulen. Zu wenig Platz, zu wenig Personal.
Wir wollen nicht so weit gehen zu sagen, dass Berlin nur B-Ware-Schulabschlüsse produziert. Aber wir haben ein Problem in der Bildung. Ein massives Problem. Die überregionalen „Qualitätskontrollen“ in Form von Leistungsvergleichen legen das offen. Ja, Schule ist mehr als Noten, aber auch für andere pädagogische Ziele bleibt dem pädagogischen Personal kaum Zeit.
Erstmals seit 25 Jahren hat Berlin wieder über 400.000 Schüler*innen. Die Personaldecke im Schulbetrieb wird leider nicht entsprechend größer. Und wer an der einen Seite zieht, wird an der anderen Seite neue Baustellen freilegen.
Die Senatsbildungsverwaltung hat zum Ende des vergangenen Schuljahrs steuernd über den Profilbedarf II eingegriffen. Vermutlich werden wir bei der Überarbeitung der Zumessungsrichtlinien weitere, ggf. unangenehme Überraschungen zu erwarten haben – hoffentlich planbarer für die Schulen. Hier werden allerdings keine Stellen geschaffen, sondern Personal von A nach B verteilt. Als Landeselternausschuss halten wir nach wie vor die Entwicklung neuer Ansätze zum Umgang mit Gewinnung und Einsatz pädagogischen Personals für wichtig, deswegen regen wir auch hier an, ALLE an Schule Beteiligten mit ihren Ideen und Ansätzen auch zu nutzen.
Auf der Ebene von Verordnungen werden wir das Problem „Lehrkräftemangel“ nicht lösen.
Als LEA haben wir Mitte 2018 dazu Forderungen gestellt, die erst Jahre später umgesetzt wurden. Mitte 2022 haben wir einen Runden Tisch zum Thema Lehrkräftemangelverwaltung gefordert. Der Erfolg war mäßig, die Maßnahmen warten auf Umsetzung. Mitte 2023 haben wir uns mit weiteren Forderungen an die Senatsbildungsverwaltung gewandt, auch hier ist vieles offen.
Berlins Schulen benötigen mehr Personal, sowohl für offene Stellen an bestehenden Schulen als auch für die notwendigen neuen Schulplätze, die Berlin im Rahmen der Schulbauoffensive geschaffen werden. Die Senatsbildungsverwaltung arbeitet mit Hochdruck an den Plätzen, die sicherstellen sollen, dass alle Schüler*innen angemessen lernen können und dass Schulklassen nicht mehr aus allen Nähten platzen.
Bildung von morgen, ehrlicherweise auch Bildung von heute, ist mit Tischreihen, Frontalunterricht und statischen Raumkonzepten nicht leistbar. Wenn wir in Berlin Anschluss an den bundesweiten Standard bekommen wollen, müssen wir in die Grundlagen dafür entschlossen und konsequent investieren.
Berlins Schulen sollen inklusiv sein. Das zieht besondere Bedarfe bzgl. der Rahmenbedingungen nach sich: fachlich und pädagogisch breit gefächert ausgebildetes Personal, Teilungsräume, Teamteaching, interdisziplinäre Teams, das ist ein kleiner Ausschnitt der notwendigen Voraussetzungen für inklusive Bildung.
Wir sind in Berlin weit entfernt davon, diesen inklusiven Ansatz flächendeckend umzusetzen. Zu wenig Lehrkräfte haben eine Ausbildung, die sie für inklusiven Unterricht befähigt, die personelle Grundausstattung der Schulen ist häufig nicht so verlässlich, dass inklusive Unterrichtskonzepte kontinuierlich geplant werden können. Hier müssen wir uns in Berlin entscheiden: halten wir am Anspruch fest? Dann müssen die Grundlagen und Voraussetzungen dafür geschaffen, Schulen und Schulleitungen unterstützt werden. Und wir müssen anders lernen zuzuhören.
Unterricht bedeutet, den Lernenden zuzuhören, ihre Bedarfe zu erfassen und ihnen die Voraussetzungen für gutes Lernen zur Verfügung zu stellen. Den Lehrenden zuzuhören und ihre Bedarfe ernst zu nehmen, das sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
Schulische Bildung ist viel mehr als die Ansammlung von Wissen: soziales Lernen, Kompetenzerwerb, zunehmende Selbstständigkeit erlernen, für sich selbst in einer sich wandelnden Gesellschaft Verantwortung übernehmen und Argumente und Aussagen kritisch hinterfragen zu können, dies alles muss man in Schule lernen können. Wir müssen stärker auf die Schulen und ihre Ideen hören. Und wir müssen für das, was wir an Bildung erwarten, die notwendigen Voraussetzungen zur Verfügung stellen.
Die Autorin und Autoren:
Dörthe Engelhardt, Norman Heise, Jan Krebs und Carsten Rudolph als Vorstand des Landeselternausschusses Schule