Im sich abzeichnenden Vorwahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl 2026 und den aktuell laufenden Haushaltsverhandlungen für den nächsten Landeshaushalt wurde durch Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) erneut das kostenbeteiligungsfreie Schulmittagessen an den Berliner Grundschulen sowie das BVG-Ticket für Kinder und Jugendliche als Kostentreiber ins Feld geführt. Aufgrund dieser Ausgaben sei es beispielsweise nicht möglich, mobile Endgeräte für Oberschüler:innen anzuschaffen, oder die Antisemitismusprogramme der „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus („KIgA“) aus dem Bildungshaushalt zu finanzieren.

„Die Kostenlospolitik der SPD engt den Spielraum ein.“

Katharina Günther-Wünsch, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie.

Die Fachpolitischen Sprecher:innen der Berliner SPD-Fraktion, Maja Lasic und Marcel Hopp warfen der Senatorin vor, durch den Verweis auf Haushaltszwänge „Nebelkerzen“ zu werfen, um von ihrer „Umpriorisierung“ abzulenken.

Die Kostenbeteiligungsfreiheit beim Schulmittagessen an den Grundschulen sowie das BVG-Ticket für alle Kinder und Jugendlichen sind der CDU seit Jahren ein Dorn im Auge, insbesondere, da sie der Ansicht ist, hierbei handele es sich mehr um Sozial- als um Bildungspolitik. Die Berliner SPD hält insbesondere diese beiden Ausgabenblöcke für einen Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit und für eine Entlastung von Familien. Wesentlicher Streitpunkt zwischen den Koalitionspartnern ist immer wieder auch die Frage, ob Eltern mit ausreichendem Einkommen an den Kosten beteiligt werden sollen. Dies wirft auch Folgefragen auf, wie die nach dem Verhältnis von entstehendem Verwaltungsaufwand zu tatsächlich zu erwartenden Einnahmen. Mit diesen habe ich mich hier ausführlicher beschäftigt, aber auch hier.

Hoch lebe die Debatte!

Das Schöne an Debatten (auch den Politischen) ist ja, dass man viel voneinander lernen kann. Über Perspektiven und Lebensrealitäten anderer Menschen und auch fachlich kann man klüger werden. Wichtig ist dabei aber, dass sich alle Beteiligten darauf einigen, dass man sich an den Anspruch hält, die Zuschauenden bzw. Mitlesenden mit den richtigen Infos zu versorgen. Ich halte es auch für sinnvoll, bei diesem Thema nochmal genauer hinzuschauen, da sich abzeichnet, dass dieses ein Wahlkampfthema wird:

es stellt die Frage, was zum schulischen Auftrag gehört, es adressiert soziale Unterschiede und es ist eingängig. Essen müssen alle und irgendwie zur Schule kommen auch.

Die Argumentation der Senatorin ist die oben Beschriebene. Wegen der Ausgaben fürs Mittagessen müsste woanders im Bildungswesen gespart werden. Überdies wird immer wieder ins Feld geführt, dass kostenbeteiligungsfreies Mittagessen dazu führen würde, dass mehr Essen entsorgt wird, also die Wertschätzung sinkt. Eltern mit hinreichendem Einkommen könnten sich an den Mahlzeiten beteiligen und die Senatorin erklärt auch immer wieder, dass es Eltern gäbe, die diesen Preis zu zahlen bereit seien.

In Gesprächen mit CDU-Abgeordneten hört man dies ebenfalls. Familien, die eher den Kontakt zu Wahlkreisbüros von SPD, Grünen und Linken aufsuchen, fordern hingegen regelmäßig den Fortbestand der Kostenbeteiligungsfreiheit. Für die Frage, warum sich dieses gegenteilige Meinungsbild ergibt, habe ich verschiedene Thesen, diese sollen hier aber keine Rolle spielen. Der Landeselternausschuss als oberstes Elternvertretungsgremium steht jedenfalls seit Jahren auf der „Pro Gebührenfreiheit“-Seite.

Bezüglich des BVG-Tickets für Kinder und Jugendliche stellte die Senatorin laut Tagesspiegel dar, dass 70% der Grundschulkinder das BVG-Ticket nicht für die Fahrt zur Grundschule nutzen würden und implizierte damit, dass diese Ausgaben eingespart werden könnten.

Ein Faktencheck

#1 Kostenumschichtungen

Die Kosten für das Schulmittagessen für die öffentlichen allgemein bildenden Schulen werden nicht aus dem Haushalt der Bildungsverwaltung gezahlt, sondern aus den Haushalten der Bezirke. Selbst, wenn dort Gelder eingespart würden, würden diese nicht dem Bildungshaushalt zufließen. Eine direkte Verknüpfung von Bildungsausgaben und dem Schulmittagessen ist deshalb schlichtweg nicht möglich. Wenn ihr Nachbar beim Wocheneinkauf spart, haben Sie ja auch nicht mehr Geld für Bücher.

Sollten Mittel bei den Bezirken eingespart werden, müsste der Haushaltsgesetzgeber (das Abgeordnetenhaus) entscheiden, wie mit den Geldern umzugehen ist und welche Verwaltungen diese erhalten, oder ob die Einsparungen zur Ausgabensenkung genutzt werden. Es könnte auch entscheiden, die Gelder 1:1 an den Bildungshaushalt weiterzugeben, eine Antwort auf eine Anfrage meinerseits bei der Bildungsverwaltung, ob es diesbezüglich eine koalitionsinterne Absprache gäbe, erreichte mich bisher jedoch nicht. Insofern ist davon auszugehen, dass diese Herleitung der Senatorin keine fachliche Grundlage hat.

Die Kosten für das BVG-Ticket werden ebenfalls nicht aus dem Bildungshaushalt finanziert. Diese fließen der BVG als Teil einer umfassenderen Zuweisung aus dem Haushalt der Senatsverwaltung für Verkehr zu. Der Grund: dieses Ticket ist keine Schulpolitik, sondern Mobilitätspolitik. Es geht nicht nur darum, dass Kinder und Jugendliche zur Schule kommen, sondern auch darum, dass sie sich im Stadtraum bewegen können, ohne, dass Eltern zusätzlich noch permanent Tickets für jeden Tages- und Wochenendausflug kaufen müssen. Es ist insofern nicht nur ein Möglichmacher für die Erkundung unserer Stadt, sondern auch eine massive Entlastung von Familien, gerade von denen mit Kindern im Grundschulalter.

Würden die Kinder und Jugendlichen keine BVG-Tickets mehr bekommen, hätte dies neben den Auswirkungen für die Familien auch noch eine andere Auswirkung: die Zuweisung des Senats an die BVG würde sinken. Dies würde dazu führen, dass diese noch weniger Geld hätte, um ihren Betrieb zu gewährleisten.

Bezüglich der Darstellung der Senatorin, 70% der Grundschüler würden ihr BVG-Ticket nicht für den Schulweg nutzen, habe ich bei der Senatsbildungsverwaltung angefragt, wer diese Zahl erhoben haben will und wie. In der Grundschule meines Kindes gab es eine solche Umfrage nicht und auch aus anderen Schulen ist mir eine solche Abfrage nicht bekannt. Die genannte Anfrage an die Bildungsverwaltung blieb bisher unbeantwortet.

#2 Weggeworfenes Essen

Dass Schülerinnen und Schüler essen wegwerfen würden, weil es kostenbeteiligungsfrei sei, wird immer wieder als Argument angeführt. Der Verband Deutscher Schul- und Kitacaterer e.V. berichtet, dass die Menge weggeworfenen Essens sich durch die Einführung der Kostenbeteiligungsfreiheit nicht verändert habe. Dass Lebensmittelverschwendung ein Problem ist, ist richtig, die Ursachen scheinen aber woanders zu liegen. Diese können beispielsweise schulorganisatorisch sein (zu wenig Pausenzeit für Bewegung UND Mittagessen), oder in der Qualität des Essens liegen, oder schlichtweg damit zusammenhängen, dass Kinder nicht in der Schule sind und ihre bestellte Mahlzeit nicht abholen.

Um Letzteres bemühte sich die Bildungsverwaltung zuletzt durch eine Umstellung des Bestellsystems. Die letzten bekannten Erhebungen zu weggeworfenem Essen sind schon knapp 3 Jahre alt. Der Landeselternausschuss erklärte neulich bei mir im Podcast, dass es eine solche Erhebung nicht gäbe. Eine Anfrage durch mich bei der Bildungsverwaltung, ob die weggeworfenen Mengen in jüngster Zeit mal evaluiert wurden und wenn ja, durch wen, blieb bisher unbeantwortet.

#3 Die „Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus“

Bezüglich der KIgA wurden die Kürzungen durch die Senatorin laut Tagesspiegel mit den Ausgaben u.A. für das Schulmittagessen begründet. Man müsse priorisieren. Auch hier gibt es keinen Zusammenhang zwischen den Ausgabetiteln (siehe oben). Ich habe bei der Bildungsverwaltung zwar diesbezüglich angefragt, aber auch hier liegt mir bisher keine Antwort vor. Richtig ist aber: die CDU-Hausspitze der Bildungsverwaltung bemüht sich seit Längerem um Kürzungen bei der KiGA, teils auch gegen Empfehlungen aus der eigenen Fachebene. Die SPD sprach in diesem Zusammenhang von einem „Kulturkampf“, der die Trägerlandschaft destabilisiere und die Präventionsarbeit gefährde.

#4 „Kostenlospolitik“

Ein eingängiger Begriff, der aber in die Irre führt. Diese Angebote sind nicht „kostenlos“, sondern sie werden von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern bezahlt, zu denen übrigens auch Eltern gehören. Sie sind kein Geschenk, wie es das Wording impliziert, sondern sie sind eine gemeinsam finanzierte Leistung für Kinder und Familien und da befindet sich dann auch die eigentliche Frage versteckt, aber nicht ausgesprochen:

wer soll sich in dieser Stadtgesellschaft für Bildung und Familien verantwortlich fühlen? Alle, oder sollen Eltern an den Kosten einer defizitären Bildungs- und Familienpolitik auch noch finanziell beteiligt werden, nachdem sie schon permanent mit den Folgen der Unterfinanzierung selbiger zu kämpfen haben? Wer fühlt sich verantwortlich? Wie viel sind uns als Stadtgesellschaft Kinder und Familien und ihr Wohlergehen wert?

Familien muss man nicht erzählen, dass die Lebenshaltungskosten und insbesondere die Mietpreise in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen sind und dass die Familienfreundlichkeit in dieser Stadt an vielen Stellen zu wünschen übrig lässt, insbesondere auch, wenn es darum geht, irgendwo Anträge stellen zu müssen, oder Termine für Antragstellungen zu bekommen. Die Familienpolitik sollte das auch wissen.

Es wird regelmäßig argumentiert, dass das Land Berlin sich durch die eigene Pauschalfinanzierung jährlich rund 60 Mio. Euro aus dem Bildungs- und Teilhabepaket des Bundes entgehen lässt. Dem müssten jedoch die Verwaltungskosten gegengerechnet werden, die entstehen, wenn die Einkommensnachweise der Eltern von rund 275.000 Kindern zwischen 6 und 13 Jahren regelmäßig geprüft werden müssen, um dann zu gucken, ob wirklich eine Ersparnis bliebe.

In einer Stadt mit allein 180.000 Soloselbstständigen, zu denen auch viele Eltern gehören und bei denen die endgültige Kostenfeststetzung erst nach Vorliegen des Steuerbescheides vorgenommen werden kann und einer öffentlichen Verwaltung auf dem aktuellen Digitalisierungsstand, darf man diesen Gedanken wohl „kühn“ nennen.

Persönliche Anekdote: die endgültige Feststetzung der Kostenbeteiligung der Jahre 2015 bis 2019 (damals gab es die Kostenbeteiligung noch) erhielt ich im Jahr 2024 und bekam sogar noch was zurück. Es wäre mir lieber gewesen, die Verwaltung hätte diese Kapazitäten für Familien mit Hilfebedarfen genutzt.

Die Familien- und Bildungspolitik sollte wissen, dass Familienpolitik und Bildungspolitik nicht voneinander getrennt gedacht werden können (auch deshalb befindet sich beides im gleichen Senatsressort). Da, wo R2G unter der früheren Senatorin Scheeres (SPD) bisweilen bei der Bildungspolitik zu wenig „Output“ produziert hat, schlägt SchwarzRot mit Senatorin Günther-Wünsch (CDU) in die andere Richtung aus und übersieht, dass Bildungspolitik keine Familienpolitik ersetzen kann.

Fazit

Wünschenswert wäre eine Debatte über Verbesserungen und keine darüber, wem man was wegnimmt.

Übernimmt die Stadt als Ganzes Verantwortung für Bildung, Kindheit und das Wohlergehen von Familien, indem Ausgaben durch Steuern finanziert werden, oder bürgt man Eltern diese Kosten in Form von Gebühren auf? Halten wir weiterhin großzügig Steuerschlupflöcher für Wohnungskonzerne auf und verursachen damit Milliardenschäden in den öffentlichen Haushalten, um dann bei Kindern und Familien zu sparen?

Wer die Bildungs- Familien- und Jugendpolitik in dieser Stadt verantworten und Landeshaushalte aufstellen möchte, sollte hierauf Antworten haben, die nicht zulasten von Familien gehen.