Versprachen sich die Koalitionspartner von CDU und SPD in Berlin zum Start des Regierungsbündnisses in der Präambel des Koalitionsvertrags noch, Spaltungen in der Stadt überwinden und seriös regieren zu wollen

„Dafür streben CDU und SPD eine Koalition an, die vertrauensvoll zusammenarbeitet, die zügig und lösungsorientiert bestehende Probleme anpackt und hart dafür arbeitet, dass Berlin jeden Tag ein bisschen besser funktioniert.“

werden die Friktionen sowohl zwischen den Koalitionären, als auch innerhalb der Parteien derzeit wieder deutlicher sichtbar.

In der vergangenen Woche meldete sich der Regierende Bürgermeister (CDU) höchstselbst aus dem Urlaub, um der Sozialsenatorin (SPD) auszurichten, der Gesetzentwurf für die zwischen den Partnern verabredete, aber gleichwohl zwischen selbigen umstrittene Ausbildungsplatzumlage käme zum falschen Zeitpunkt. Die SPD sieht sich an der Umsetzung von Verabredungen gehindert, die CDU mochte die Idee noch nie so recht und hält sie zudem für ein „Bürokratiemonster.“

Beinahe zeitgleich fingerhakelten Wirtschaftssenatorin Giffey (ihrerseits auf Instagram) und Sozialsenatorin Kiziltepe miteinander. Letztere hat erklärt, die Autos aus Elon Musks Fabrik in Grünheide seien „Nazi-Autos“, weshalb sie auch keiner kaufen wolle. Warum sie nach dieser Kritik ausgerechnet Elon Musks Plattform X nutzte, um diese Information mit der Welt zu teilen, blieb hingegen bisher ungeklärt.

Beiden wird eine Ambition auf die Spitzenkandidatur der SPD 2026 nachgesagt, was ein Teil der Antwort auf die Frage sein könnte, weshalb die beiden diese Auseinandersetzung via social media-Plattformen und nicht im Büro führten. Kurz darauf widerum stellte die Bildungssenatorin (CDU) via Tagesspiegel-Gastbeitrag eine Grundsatzverabredung mit dem Koalitionspartner zum kostenbeteiligungsfreien Schulmittagessen infrage, kurz nachdem sie sich mit der Sozialsenatorin in Fragen der schulischen Inklusion öffentlich über Verfahrensabläufe gestritten hat.

Willkommen im Vorwahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl 2026!

Zum kostenbeteiligungsfreien Schulmittagessen und zum Beitrag der Bildungssenatorin im Tagesspiegel möchte ich ein paar  Gedanken beisteuern:

Der Beitrag von Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) beginnt mit der Feststellung, dass Berlin bei den Pro-Kopf-Ausgaben im Bildungsbereich im Ländervergleich seit Jahren an der Spitze liegt. Die Aussage ist richtig, allerdings ist die Herstellung einer Vergleichbarkeit nicht trivial. Bisweilen und seit Jahren scheitert das Land Berlin schon an der Beantwortung der Frage, wo denn innerhalb des Berliner Bildungswesens Gelder hin fließen.

Die Finanzierung der Schulen ist so komplex, wie bisweilen undurchsichtig und dann kommt noch der Faktor dazu, dass 16 Bundesländer sehr divers aufgestellt sind, was die Schularten und den Zustand der Bausubstanz der Schulen angeht. Nicht zuletzt entscheidet auch die Schulart, welche Kosten pro Kind entstehen (Statistisches Bundesamt) und die Kosten je Kind werden auch durch die Ausgaben für die Instandhaltung und den Bau von Schulgebäuden gesteigert. Die mehrere Milliarden Euro schwere und notwendige Schulbauoffensive des Landes Berlin dürfte die Kosten je Kind im Ländervergleich deutlich in die Höhe treiben, ohne, dass hierdurch unmittelbar „am Kind gearbeitet“ wird.

In diesem Zusammenhang sehr schwerpunktbezogen auf das Schulmittagessen zu verweisen, kann angesichts dieser Komplexität willkürlich wirken, gleichwohl feststellbar ist, dass das Schulmittagessen schon seit Jahren Gegenstand der Kritik der Berliner CDU ist. Aber zurück zum Thema:

Die Bildungssenatorin argumentiert, dass es notwendig sei, zu priorisieren. Ihre Priorität:

„[…] Investitionen in Köpfe (Personal), ins Lehr- und Lernumfeld (Schulbau) und in zeitgemäßes Lehren und Lernen (Digitalisierung und datenbasierte Schulentwicklung).“

Wer möchte bezüglich der Wichtigkeit der genannten Punkte widersprechen? Ich nicht. Die Argumenation ist, dass die Ausgaben für das Schulmittagessen daran hindern würden, an diesen Stellen hinreichend zu investieren. Ein paar Zahlen:

Der Haushalt der Bildungsverwaltung umfasst rund 5,5 Mrd. Euro pro Jahr und mehrere hundert Einzelposten. Rund 3,5 Mrd. Euro dieses Haushalts sind Personalkosten, die mehr oder weniger fix sind. Es bleiben insofern noch rund 2 Milliarden Euro für sämtliche weitere Haushaltstitel.  Sich einen Posten wie den des Schulmittagessens mit rund 200 Mio. Euro jährlich anzuschauen, ergibt insofern haushälterisch durchaus Sinn, wenn man der Argumentation der Senatorin folgen möchte.

Einzig: das Schulmittagessen ist kein Posten im Haushalt der Bildungsverwaltung. Die Kosten für das Schulmittagessen (mit Ausnahmen bei der Erstattung von Kosten für Schulen in freier Trägerschaft) werden durch die Bezirke verwaltet und tauchen auch in deren Haushaltsplänen auf.

Sicherlich kann und muss die Frage politisch diskutiert werden, wie das Land Berlin das zur Verfügung stehende Geld auf die Senatsverwaltungen und die Bezirke im Rahmen der Haushaltsaufstellung verteilt, es lässt sich aber zwischen den Haushaltsaufstellungen nicht ableiten, dass mehr Geld für Bildung zur Verfügung stünde, wäre die Kostenbeteiligungsfreiheit nicht mehr gegeben. Es würde sich bis zur nächsten Haushaltsaufstellung auch keine halbwegs unbürokratische Lösung zur Umsetzung finden lassen, denn in dieser immer wiederkehrenden Debatte bleibt auch ein anderer Aspekt regelmäßig unter dem Tisch:

Wenn die Kostenbeteiligung im Land Berlin wieder eingeführt würde, würde dies einen erheblichen Prüf- und damit Personalaufwand in den Bezirken verursachen (irgendjemand muss die Steuerbescheide der Eltern ja regelmäßig prüfen, um auszurechnen, ob sie an den Kosten von 4,36€ pro Mittagessen beteiligt werden). Hinzu kommt:

Berlin hat eine Kinderarmutsquote von beinahe 25%. Das ist an sich schon erschreckend und schlimm genug, es bedeutet aber auch, dass 25% der Eltern auch nach einer Prüfung kostenbeteiligungsfrei blieben, gleichwohl dennoch die Einkommensverhältnisse von 100% aller Eltern regelmäßig geprüft werden müssen.

Zu implizieren, Berlin könne sich einen Großteil der 200 Mio. Euro pro Jahr sparen, ohne anzuführen, dass die Kosten in den Bezirken erheblich steigen würden, greift insofern zu kurz. Eine Berechnung, ob die zu erwartenden Einnahmen aus der Kostenbeteiligung mehr decken, als die entstehenden Personalkosten, ist mir nicht bekannt.

Ähnliches gilt für die Schülerbeförderung mit dem BVG-Schülerticket AB. Die Senatorin schreibt hierzu:

„Oder wie soll man erklären, dass das kostenfreie Schülerticket auch Familien erhalten, die dieses problemlos selbst finanzieren könnten oder es aufgrund des kurzen Schulwegs kaum nutzen – während gleichzeitig Lehrerstellen gestrichen werden?“

Auch hier müssten die Einkünfte der Eltern und auch die Schulwege geprüft werden. (Andererseits könnte sich die Bildungsverwaltung dadurch auch die Selbstverpflichtung auferlegen, Kindern keine weiterführenden Schulen am anderen Ende der Stadt mehr zuzuweisen, wie es seit Jahren aufgrund der Schulplatzknappheit der Fall ist; Grüße aus Pankow!).

Was in dieser Argumentation ebenfalls zu kurz kommt: das BVG-Ticket ist nicht nur für die Schulwege gedacht, sondern es ist auch ein Beitrag zur allgemeinen Mobilität von Kindern und Jugendlichen und unter Anderem auch ein Teil des Versuchs, „Elterntaxis“ zu vermeiden. Es ist Mobilitätspolitik und taucht deshalb auch in den Zuweisungen an die BVG im Haushalt der Verkehrsverwaltung auf.

Eine Abschaffung würde insofern nicht den Bildungshaushalt entlasten, sondern den Verkehrshaushalt und gleichzeitig die bezirklichen Schulämter belasten, die dann Schulwege ermitteln, Angemessenheiten prüfen und Kostenbeteiligungen ausrechnen.

Diese Zeilen schreibe ich in einem Moment, in dem der Koalitionsvertrag von CDU und SPD auf der Webseite der Senatskanzlei auf Berlin.de nicht aufrufbar ist, weil die Berliner Onlinedienste aufgrund einer Cyberattacke seit Sonntag nur eingeschränkt erreichbar sind. Das wären die digitalen Bedingungen, unter denen die unter Personalnot leidenden Bezirke abgeschaffte Prüfaufgaben zurückerhalten sollen.

Was ebenfalls zu kurz kommt:

Dass Einsparungen zu tätigen sind, ist kein Naturgesetz, sondern eine politische Entscheidung. Genauso war es eine politische Entscheidung Steuerschlupflöcher zu schaffen und bestehen zu lassen, die dem Land Berlin allein im Rahmen eines Immobilienkaufs der Vonovia 2024 fast eine Milliarde Euro Steuerausfälle beschert haben. Allein mit diesem Steuerausfall hätte das Land Berlin sämtlichen Berliner Grundschülerinnen und Grundschülern 4 1/2 Jahre lang eine kostenfreie Mittagsverpflegung finanzieren können.

Genauso ist es eine politische Entscheidung, andere potentielle Einnahmequellen nicht zu nutzen und auch, den Bund nicht zur Schließung von Steuerschlupflöchern aufzufordern und/oder Bundesratsinitiativen zu starten.

Ganz sicher gibt es genug Gründe, die Frage einer Kostenbeteiligung und ggf. auch deren Höhe zu diskutieren. Ich sehe „auf beiden Seiten“ valide Argumente, die man abwägen muss.

Abwägen lässt sich meines Erachtens aber nicht, ob wir lieber beim Unterricht, beim Essen, beim Schulbau, bei der politischen Bildung, bei der Inklusion, bei der Kultur, bei Angeboten der Jugendhilfe, bei der Schulsozialarbeit, bei den Hilfen zur Erziehung, bei der Mobilität von Kindern oder an vielen anderen Stellen sparen, während Milliardenvermögen steuerfrei hin und her bewegt werden und nicht zur Gemeinwohlfinanzierung herangezogen werden.

Es löst kein Problem, die Interessen von Durchschnittsverdienern und Geringverdienern gegenüberzustellen und ich finde es gelinde gesagt widersprüchlich, dass der Staat Kapazitäten schaffen soll, um herauszufinden, ob sich erwerbstätige Eltern an einer Mahlzeit mit einem Kostensatz von 4,36€ pro Tag beteiligen sollen, während bei der Frage nach Vermögenssteuern regelmäßig im Duktus einschlägiger Lobbygruppen betont wird, wie bürokratisch und aufwendig eine Vermögensermittlung sei, weshalb man es lieber gleich lassen solle.

Zudem: eine Kostenbeteiligung von höchstmöglichen 100% entspräche einem monatlichen Höchstsatz von etwa 87€ (4,36€ * 20 Schultage). Diese Wiedereinführung würde also denjenigen mit sehr hohen Einkommen kaum auffallen, dafür aber Durchschnittsverdienern umso mehr und zeitgleich für alle eine Menge Bürokratie verursachen, aufgrund derer man an anderer Stelle eine Ausbildungsplatzumlage ablehnt.

Sehr geehrte Frau Senatorin Günther-Wünsch,

Sie schreiben im oben genannten Tagesspiegel-Artikel:

„Am Ende geht es um Verantwortung. Gute Bildung kostet – und wir müssen als Stadt klären, was sie uns wert ist. Und was wir bereit sind, dafür loszulassen. Ich scheue eine solche Schwerpunktsetzung nicht. Ich scheue auch nicht den Mut zu Entscheidungen. Beides gehört für mich zur selbstverständlichen Aufgabenbeschreibung einer Senatorin.“

Es geht um Verantwortung und gute Bildung kostet. Die Frage ist aber nicht, was „wir“ bereit sind, loszulassen (diese Abwägung kann der Senat den einzelnen Bürgerinnen und Bürgern ohnehin nicht abnehmen), sondern die, von wem eine größere Mitverantwortung an der Gemeinwohlfinanzierung einzufordern ist, bevor überlegt werden kann, ob an Kindern und Familien gespart werden muss. Solange Arbeitseinkommen anteilig höher besteuert werden, als Kapitalerträge und solange dem Gemeinwesen aufgrund von Steuerschlupflöchern alljährlich Milliardenausfälle entstehen, sollte diese Frage meines Erachtens leicht zu beantworten sein.

Zur Aufgabenbeschreibung einer Senatorin gehört, wie sie schrieben, zu priorisieren und Entscheidungen zu treffen, seit Längerem fallen Entscheidungen aber sehr einseitig zu Lasten weiter Teile der Stadtgesellschaft und ihrer Kinder und Familien aus. Nun auch das BVG-Ticket und die Mittagsverpflegung in den Schulen infrage zu stellen, ist insofern genau das falsche Signal.

Lassen Sie uns (damit meine ich unangemessen vereinnahmend den Senat und die Stadtgesellschaft) über notwendige Weichenstellungen, über Priorisierungen, über Qualitätsmaßstäbe, datenbasierte Schulentwicklung und Qualitätssicherung diskutieren. Unbedingt. Aber nicht darüber, ob Einsparungen in Milliardenhöhe irgendetwas mit Gestaltung, Zukunft oder gar Wertschätzung gegenüber Kindern, Jugendlichen und Familien zu tun hätten.