Liebe Leserin, lieber Leser,
das wird nicht vergnügungssteuerpflichtig, aber da müssen wir jetzt gemeinsam durch: stellen Sie sich vor, Sie haben ein Landesparlament mit einer Fraktion, die nicht Teil der Regierung ist und die besonders weit rechts steht und deshalb auch weit rechts sitzt. Ihnen fällt auf, dass man dort bei wirklich allen großen, kleinen und manchmal auch allzu menschlichen Problemen, die in so einem Parlament besprochen werden, Minderheiten als Problemverursacher ausmacht und dass man dort ganz besonders viel Wert auf Recht (das des Stärkeren, also Deutscheren), Ordnung, Fleiß, Disziplin und besonders streng sitzende Frisuren legt. Ich nenne diese Leute hier im Artikel behelfsweise „die kleinen, traurigen Björns“, weil man bestimmte Namen nicht aussprechen sollte (Grüße gehen raus an alle Harry Potter-Fans).
Alle Fraktionen im Haus wissen, dass mit den kleinen, traurigen Björns nicht gespielt werden darf, weil sonst am Ende wieder alle weinen, aber es niemand gewesen sein will. Deshalb wählen sie diese Leute auch konsequent nicht in Funktionen und Ämter. Natürlich diskutieren die traurigen Björns auch bei Bildungsthemen mit und das merkt man dann immer daran, dass man in besonders umfangreichen Maß die Worte „Deutsch“ (Gut!), „Fleiß“ (Großartig!), „Ordnung“ (Applaus!), „früher“ (ach, wie schön!) und „Migranten“ (Böse, schlimm und bäh!) hört und sich beim In-sich-Reinhören denkt, dass es wohl nie wieder so wird, wie es nie war. Nun gut.
Stellen Sie sich nun auch vor, dass Sie eine Koalition haben, die sich bei Bildungsthemen oft erst einig werden muss und dabei auch häufig an einen Punkt kommt, an dem man sich einig ist, sich nicht einig zu sein. Auch das passiert in jeder guten Beziehung mal und sollte kein Scheidungsgrund sein. Grundsätzlich hat man sich aber darauf geeinigt, miteinander zu reden und zu arbeiten und nicht mit der Opposition und mit den traurigen Björns von der ganz rechten Bank schonmal gar nicht.
Jetzt stellen Sie fest, dass die Partei, die das Bildungsressort übernommen hat, viele Vorschläge macht, mit denen man aus ihrer Sicht das Bildungswesen verbessern kann und auch die Bildungsverwaltung dahingehend steuert. Das gefällt nicht allen, was in einer demokratischen Gesellschaft ein Normalzustand ist, aber Ihnen fällt auch auf, dass es für diese Politik relativ häufig ausdrücklichen Applaus und expliziten Zuspruch von den traurigen Björns gibt. Diese sind der Auffassung, jetzt würde sich das Bildungswesen zumindest ein Stück wieder dahin entwickeln, wie es zu Urgroßvaters Zeiten mal gewesen sein soll. Also mit ganz viel Ordnung, Disziplin, streng sitzenden Frisuren, Lehrern (Lehrerinnen sind mitgemeint), die endlich wieder Autorität ausstrahlen dürfen und Eltern und Schülern (Mädchen sind mitgemeint), die in den Schulen nix zu melden, aber dem Lehrkörper zu huldigen haben. Behinderte Menschen und alle, deren Familien nicht seit den Mammuts auf unserem Fleckchen Erde zwischen Rhein und Oder leben, sollten gefälligst auf jeweils eigene Schulen gehen, oder im zweiten Falle das Land besser gleich gänzlich verlassen.
Zugegeben: man kann sich nicht immer aussuchen, von wem man Zuspruch bekommt, auch dann nicht, wenn man ihn vielleicht gar nicht haben möchte. Und irgendwie sind diese Leute auch dafür bekannt, so abzustimmen, dass alle anderen sich hinterher miteinander darüber streiten, wer angefangen hat, mit den Björns zu reden obwohl es vielleicht gar keiner getan hat. Sie erinnern sich sicherlich an Frodos Gefährten, die im ersten Teil um den Ring herum stehen und unter dessen Einfluss in Streit darüber geraten, wer ihn in den Schicksalsberg werfen soll. So in etwa. Insofern sollte man das auch ein Stück weit pädagogisch angehen und so ein Verhalten nicht mit allzu viel Aufmerksamkeit belohnen.
Aber Fragen stellen sich dann irgendwann doch:
Was sollte man als Koalition tun, wenn immer wieder auffällt, dass man zu wenige Akteure im parlamentarischen, aber auch zivilgesellschaftlichen Raum wirklich mitnimmt, aber Applaus und Zustimmung ausgerechnet von den Björns bekommt? Beispielsweise bei einer Schulgesetzänderung, mit der geregelt wird, wer in einem überlasteten Bildungswesen künftig die besten Chancen hat, auf die übernachgefragtesten Schulen zu kommen? Spoiler: die, die am besten Deutsch sprechen; siehe Erläuterungen am Ende des Textes.
Was tun, wenn man die Zivilgesellschaft auch bei Umstrukturierungen bei der politischen Bildung nicht überzeugt und teilweise scharf gegen sich hat und einer der Koalitionspartner (wieder mal) nur widerwillig und um den Hausfrieden nicht zu gefährden, zustimmt? Während man aber auch ausgerechnet bei diesem Thema lauten Applaus und die besten Wünsche für die Umsetzung von den traurigen Björns bekommt, denen womöglich demnächst ein Parteiverbotsverfahren wegen Staatsgefährdung ins Haus steht.
Vielleicht wäre „Innehalten“ ein erster guter Impuls. Und dann mehr Gespräche mit der Zivilgesellschaft.
Die Berliner CDU-Fraktion und die traurigen Björns applaudieren der Bildungssenatorin am 12.09.2024, als sie ihre Pläne für eine Stabstelle zur Koordinierung der politischen Bildung in Berlin erklärt. Regungslos links unten: SPD-Fraktionschef Raed Saleh (Link zur RBB-Mediathek)
Erläuternde Fußnote:
Mit der zum 01.08.2024 in Kraft getretenen Schulgesetzänderung wurde neben vielem Anderen auch der Übergang von der Grundschule zur weiterführenden Schule neu geregelt. Neu ist unter Anderem eine Verringerung der Fächer, die in die Förderprognose einfließen. Diese sind künftig nur noch Deutsch, Mathematik und die erste Fremdsprache. Die weiteren Fächer spielen beim Übergang künftig keine Rolle mehr. Kritiker bemängelten unter Anderem den damit verbundenen Fokus auf Sprachkompetenzen und eine Abwertung aller weiteren Fächer. Dies würde es insbesondere Kindern schwerer machen, eine gute Schule zu finden, die Deutsch als Zweitsprache haben, aber sonst die Voraussetzungen fürs Gymnasium mitbrächten. Die Bildungssenatorin und die Koalition argumentierten damit, dass Sprachkompetenzen ein wichtiger Aspekt seien, um insbesondere am Gymnasium bestehen zu können. Ebenfalls wurden Regelungen zur Inklusion neu gefasst.
Im Anhörungsverfahren wurden verschiedene Institutionen und Akteure angehört und um Stellungnahme gebeten. Weiterhin gaben zivilgesellschaftliche Organisationen Stellungnahmen jenseits der offiziellen Anhörung ab.
Für die Schulgesetzänderung sprachen sich aus:
- Der Rat der Bürgermeister (mit Anmerkungen) (Link zur Parlamentsdokumentation des Ageordnetenhauses)
- Vereinigung der Oberstudiendirektoren des Landes Berlin e.V. (Gymnasialschulleitungsverband; Sitzung des Bildungsausschusses vom 30.05.2024)
- Im Parlament: CDU, SPD, AfD
Die Schulgesetzänderung sahen kritisch, forderten Änderungen und/oder lehnten ab:
- Der Landesschulbeirat Berlin (Link zur Parlamentsdokumentation des Ageordnetenhauses)
- Der Landesbeirat für Menschen mit Behinderung (Link zur Parlamentsdokumentation des Ageordnetenhauses)
- Der Landeselternausschuss (Sitzung des Bildungsausschusses vom 30.05.2024)
- Das Deutsche Institut für Menschenrechte (Link zur Pressemitteilung)
- Der Landesschülerausschuss (Link zu einem Podcastgespräch mit dem LSA-Vorstand)
- Verband Berliner Grundschulleitungen (Sitzung des Bildungsausschusses vom 30.05.2024)
- Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin (Sitzung des Bildungsausschusses vom 30.05.2024)
- Cornelia Liedtke, Anwältin für Schulrecht (Sitzung des Bildungsausschusses vom 30.05.2024)
- Berliner Bündnis für schulische Inklusion (Link zur Pressemitteilung)
- Im Parlament: DIE Linke, Bündnis90/Die Grünen