Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) bemüht sich seit Monaten immer wieder um eine Debatte über das, was sie unter „kostenlose Bildung für alle“ subsummiert und in der Folge kritisiert. Zuletzt in einem Gastartikel für den „Tagesspiegel“.

Die Kritik: die Kostenübernahme für das Schulmittagessen für alle Grundschülerinnen und Grundschüler und das BVG-Ticket für alle Berliner Schülerinnen und Schüler kosten Gelder, die woanders besser angelegt seien. Die Argumentation ist dabei denkbar eingängig: wenn es doch Eltern gibt, die sich die Beteiligung leisten könnten, warum macht man das dann nicht!?

 

„[…] wie soll man erklären, dass das kostenfreie Schülerticket auch Familien erhalten, die dieses problemlos selbst finanzieren könnten oder es aufgrund des kurzen Schulwegs kaum nutzen – während gleichzeitig Lehrerstellen gestrichen werden?“

Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) im Tagesspiegel.

Ins Feld geführt wird dabei von ihr, dass die Ausgaben im Berliner Bildungswesen nicht hinreichend auf Wirksamkeit geprüft werden und demzufolge „verpuffen“. Berliner Schülerinnen und Schüler sind regelmäßig eines der Schlusslichter in nationalen Leistungsvergleichen, während die Ausgaben pro Kopf in keinem Bundesland so hoch sind, wie in Berlin.

Aber: die Senatorin führt die geneigten Leserinnen und Leser an dieser Stelle argumentativ ins Trübe.

Von vorne:

Die Implikation, Einsparungen beim Mittagessen oder beim BVG-Ticket würden zu einem höheren Budget bei Lehrkräften, beim Schulbau, oder an anderen Stellen im Bildungshaushalt führen, hat keine Grundlage. Hinzu kommt: ob die von der Senatorin ins Feld geführte Ausschreibung von Lehrkräftestellen zu einem Erfolg führt, steht derzeit regelmäßig in den Sternen, weil die Lehrkräfte fehlen, um diese Stellen zu besetzen. Zahlreiche Schulen wandeln Lehrkräftestellen deshalb regelmäßig in andere Professionen um. Aber zurück:

Das BVG-Ticket wird aus dem Haushaltsplan der Verkehrsverwaltung (Einzelplan 7 des Berliner Landeshaushalts) in Form einer Zuwendung an die BVG bezahlt. Das BVG-Ticket für alle Berliner Schülerinnen und Schüler ist keine Schulpolitik, sondern Mobilitätspolitik.

Es geht nicht nur darum, dass Kinder zur Schule kommen, sondern auch darum, dass sie am Wochenende ihre Stadt kennenlernen können und dass sie nicht aufs „Elterntaxi“ angewiesen sind. Würde an diesem Posten gespart, hätte dies auf den Haushalt der Bildungsverwaltung (Einzelplan 10 des Landeshaushalts) keinerlei Auswirkungen. Wenn ihr Nachbar sein Auto seltener nutzt, haben Sie ja auch nicht mehr Geld, um sich Bücher zu kaufen, oder ins Kino zu gehen.

Hinzu kommt: ob ein Schüler sein Ticket braucht, um zur weiterführenden Schule zu kommen, hängt auch mit der Frage zusammen, welcher Schule er vom Schulamt zugewiesen wurde.

Wie möchte der Senat rechtfertigen, die einen Eltern mit der Notwendigkeit des Kaufs eines Tickets zu belasten, weil das Kind von Pankow nach Charlottenburg fahren muss, während das andere Kind einen Schulplatz in der Nähe bekommt?

Ähnlich verhält es sich mit dem Schulmittagessen: dieses wird aus den bezirklichen Haushalten finanziert und nicht aus dem Budget der Bildungsverwaltung.

Kostenbeteiligungen beim BVG-Ticket oder beim Mittagessen würden die Einnahmensituation des Landes Berlin verändern (und dessen bürokratischen Aufwand, da die Steuerbescheide sämtlicher Elternhäuser regelmäßig geprüft werden müssten), was zur Folge hat, dass am Ende mehr Geld im Landeshaushalt ist (abzgl. der Kosten für die entstandene Bürokratie und abzgl. der Einnahmeausfälle für 25% Kinder dieser Stadt, die in Armut leben).

Ob dieses Geld dann aber wirklich im Haushalt der Bildungsverwaltung landet und nicht auf sämtliche Verwaltungen aufgeteilt, oder dem Sparzwang anheim fällt, ist fraglich. In jedem Fall gibt es keinen Automatismus, dass das Geld in den Schulen landet.

Die Feststellung, dass Berlin Spitzenreiter bei den Kosten pro Schüler ist, ist richtig, aber nicht nachzuvollziehen. Es ist nicht klar, wie sich beispielsweise die Eliteschulen des Senats in diesen Kosten niederschlagen (der Tagesspiegel berichtete erst kürzlich über die Verheimlichung der Kosten bei der staatlichen Ballettschule Berlin) und es ist beispielsweise auch nicht nachvollziehbar, welchen Anteil die Berliner Schulbauoffensive an diesen Kosten hat (das Land Berlin holt seit Jahren mit einem Milliardenprogramm den Sanierungsstau in den Berliner Schulen auf).

Die Schulbauoffensive ist dringend notwendig, aber wenn deren Kosten die Durchschnittskosten pro Schüler nach oben treiben, sagt das erstmal überhaupt nichts über die Effizienz oder Ineffizienz von Ausgaben aus, die direkt im Zusammenhang mit dem stehen, was in den Berliner Klassenräumen passiert.

Diese Durchschnittszahl (Kosten pro Schüler) verrät erstmal nichts Konkretes und sie ist dennoch immer noch niedriger, als in Ländern, die in den internationalen Bildungsvergleichen deutlich besser abschneiden. Berlin investiert etwa 3% seines „innerstädtischen Bruttoinlandsprodukts“ in die Bildung. Norwegen, Island, Finnland und Schweden zum Vergleich liegen bei mehr als dem Doppelten. Man könnte auch zur Annahme kommen, dass Berlin nicht besonders ineffizient ist, sondern dass dauerhaft unterfinanzierte Systeme mit Modernisierungsstau immer ineffizient sind.

Des Weiteren:

Wenn die Argumentation ist, dass man viel Geld ausgibt, ohne die Wirksamkeit zu kennen, dann sollte man die Wirksamkeit von Investitionen in Bildung erstmal prüfen, bevor man beim Essen, also ganz woanders spart.

Und: diese so aufgemachte Debatte führt komplett an der eigentlichen Frage vorbei:

Wer bezahlt für die Bildung der Kinder, die diese Gesellschaft irgendwann mal tragen sollen?

Die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit durch Steuern, oder Eltern durch einen zunehmenden Anteil an Gebühren in einer Stadt, die auch für Eltern nicht zuletzt durch steigende Miet- und Lebenshaltungskosten immer teurer wird? Wollen wir die Bildung und ihre Finanzierung noch mehr privatisieren? Die Berliner CDU positioniert sich an dieser Stelle nicht erst seit dem Beitrag der Bildungssenatorin immer wieder eindeutig.

Das Argument „Wenn Eltern das zahlen können, dann sollen sie das doch zahlen sollen“ ist beliebig erweiterbar:

nach dem Essen kommt das BVG-Ticket, danach das Ende der Lehr- und Lernmittelfreiheit an Grundschulen, danach die ergänzende Förderung und Betreuung („Hort“), danach die Kosten für Nachmittagskurse im „Hort“ und so kann man das beliebig erweitern.

In dieser Denkschule kann man sämtliche Eltern so weit belasten, wie es ihr Einkommen zulässt. Die Frage ist:

Wollen wir das als Gesellschaft?

Wer sich heutzutage mit Jugendlichen und auch Eltern unterhält, wird feststellen, dass sie sich von dieser Gesellschaft sehr häufig nicht gesehen fühlen. Die Erfahrung, dass eine immer älter werdende Gesellschaft und ihr Staat sich immer weniger mit den Bedürfnissen von Menschen unter 40, 30, oder gar unter 20 Jahren auseinanderzusetzen bereit sind, ist allgegenwärtig.

Insofern ist es aber schon beinahe „folgerichtig“, dass man Eltern nun auch noch ein Teil der Kosten des Bildungswesens überhelfen möchte, anstatt dafür zu sorgen, dass es von vornherein vernünftig ausfinanziert ist.

Wir leisten es uns als Land Berlin, einem Wohnungskonzern einen Steuernachlass von beinahe 1 Milliarde Euro zu schenken und schließen das großzügig aufgehaltene „Schlupfloch“ nicht, aber Eltern sollen doch bitte die (häufig übrigens reichlich defizitären) Schulen ihrer Kinder privat querfinanzieren, während sie auch besagtem Wohnungskonzern Wuchermieten zahlen.

Die Forderung nach einer Kostenbeteiligung ist nichts anderes, als die Aufforderung der Bildungssenatorin an andere Ressorts (insbesondere Verkehr und die Bezirke), sie mögen doch bitte bei Familien den Rotstift ansetzen (wie beschrieben handelt es sich hier nicht um eine Priorisierung im Bildungsaushalt).

Wer soll die Verdoppelung der Bildungsausgaben erstreiten, mit denen wir zu den skandinavischen Ländern aufzuschließen können, wenn nicht eine Bildungssenatorin? Dass die Antwort einer Jugend- und Familiensenatorin sinngemäß „Bitte spart beim Mittagessen und der Mobilität der Kinder und bei Eltern“ lautet, ist niederschmetternd.