Man kann die Meldungen aus 2024 und 2025 nebeneinanderlegen und wird feststellen, dass die Leistungen der Berliner Schülerinnen und Schüler in den Vergleichsarbeiten VERA3 und VERA8 katastrophal schlecht bleiben:

Rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 3 erreicht nicht einmal die Mindeststandards bei den erwarteten Lesekompetenzen, bei der Rechtschreibung sind es sagenhafte 70 Prozent. Von den Achtklässler:innen an den Integrierten Sekundarschulen bleiben 73 Prozent der Schüer:innen unter den Mindeststandards im Fach Mathematik. An den Gymnasien erreichen 20 Prozent der Schüler:innen die Mindeststandards im Fach Mathematik nicht und 8 Prozent bleiben unter den Mindestanforderungen beim Lesen.

Diese Informationen gehen auf eine Antwort der Bildungsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Dr. Alexander King (Fraktionslos, BSW, ehem. DIE LINKE) zurück. Die Morgenpost berichtete.

Die Ergebnisse sind seit Jahren konstant schlecht, weshalb sich die Koalition aus CDU und SPD mit Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) die Verbesserung der Deutsch- und Mathematikleistungen der Schülerinnen und Schüler auf die Fahnen geschrieben haben. Abgeleitete Maßnahmen waren im Wesentlichen eine Erweiterung der frühkindlichen Sprachförderung („Kita-Chancenjahr“) und die Einführung verpflichtender Zeiten gemeinsamen Lesens an den Berliner Schulen („Lesebänder“).

Hinzu kommen sollen „Mathebänder“ sowie eine Ausstattung aller Grundschulen mit Fachleiterstellen für die Fächer Deutsch und Mathematik. Ich habe den Stand aus dem Frühjahr hier ausführlicher dargestellt, an dem sich seither nichts wesentliches verändert hat. Ebenfalls wurde seitens der Koalition und der Senatorin die Neuregelung der Übergangskriterien an Gymnasien als Maßnahme zur Verbesserung ins Feld geführt, hierbei handelt es sich aber genau genommen nicht um eine Förderung, sondern um eine Verstärkung bereits bestehender Selektionen.

Ernüchterung

Das vorläufige Fazit der bisher beschlossenen Maßnahmen ist ernüchternd:

  • Die Besetzung der Fachleiterstellen geht zu langsam vonstatten. Und wenn die Fachleitungen irgendwann „an Bord sind“, müssen diese auch erstmal Konzepte erstellen und die Umsetzung bringen. Diese Maßnahme wird eher mittel- bis langfristig wirken und die Zeiträume werden in Jahren zu bemessen sein.
  • Die Erweiterung der frühkindlichen Sprachförderung kann hilfreich sein, die Zielgruppe mit Bedarf (rund die Hälfte der Berliner Kinder laut VERA3) ist aber deutlich größer, als die Zielgruppe des „Kitachancenjahres“ (rund 7% der Berliner Kinder, die zwischen dem dritten und sechsten Lebensjahr keine Kita besuchen). Diese Maßnahme wird also a) erst mittelfristig wirken und b) nur einen Teil der Kinder mit entsprechenden Bedarfen erreichen.
  • Das Programm der „Sprachkitas“ lief zum 31.07.2025 endgültig aus. Die Koalition hat sich verabredet und jüngst im Senat beschlossen, den Fachkräfte-Kind-Schlüssel in den Kitas zu verbessern. gleichzeitig wird eine verstärkte Sprachförderung angekündigt. Diese Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels bedeutet in der Gesamtschau und in Zeiten eines Geburtenknicks im Wesentlichen, dass das Personal, das bereits in den Kitas vorhanden ist, gehalten wird. Wie sich diese Entscheidung auf die Sprachkompetenz von Grundschüler:innen auswirkt, wird je nach Jahrgang in etwa 4-8 Jahren festzustellen sein, wenn die heutigen Kitakinder an den VERA3-Tests teilnehmen.
  • Die Einführung der „Lesebänder“ ist eine politische Entscheidung, aber in der Kategorie „politische Kreativität“ auch eher eine „Low hanging fruit“: Lesebänder hätten die Schulen im Rahmen ihrer schulischen Gestaltungsmöglichkeiten bereits in der Vergangenheit selbst einführen können (und manche haben es auch). Die Frage ist bei vielen Schulen eher, weshalb sie das nicht getan haben und hier stellt man im Gespräch mit Schulleitungen fest: weil das Personal und die Zeit fehlten und fehlen. Die Bildungsverwaltung möchte an dieser Stelle nachsteuern, aber Personal ist bekanntlich Mangelware. 640 Stellen sind laut Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) aktuell unbesetzt. Die LINKE wirft der Bildungsverwaltung Schönrechnerei vor und spricht unterm Strich von mehr als 1.500 Vollzeitstellen, die unbesetzt blieben. Die GEW Berlin kritisiert die hohe Quote von Lehrkräften, die über den Quereinstieg in die Schulen gekommen sind. Verpflichtend vorgesehen sind die Lesebänder bisher auch nur für die Schulen, die am „Startchancenprogramm“ teilnehmen.
  • Es werden vermehrt Schulen ins „Startchancenprogramm“ des Bundes und der Länder aufgenommen. Eine Recherche der TAZ hat jedoch ergeben, dass pro Schule, die in das Startchancenprogramm aufgenommen wurde, bisher durchschnittlich lediglich 5.000€ für zusätzliche Bildungsangebote ausgegeben wurden, was angesichts der eigentlich vorgesehenen Budgets (mehrere 100.000€ pro Jahr und Schule) viel zu wenig ist.
  • Der Landeselternausschuss Schule wollte Ende 2024 wissen, wie das Verhältnis von Lehrkräften mit abgeschlossenem lehramtsbezogenem Studium und Quereinsteigenden in der Schulanfangsphase ist. Die Antwort der Bildungsverwaltung: „Die Daten zur Ermittlung dieses Verhältnisses werden in der angefragten Form nicht erhoben.“

Rückschritte in der frühkindlichen Sprachförderung?

Der vom Senat jüngst beschlossene und dem Abgeordnetenhaus nun vorliegende „Partizipationszuschlag“ wird von Kitaverbänden breit kritisiert, weil er Zuschläge für die Sprachförderung in Kitas (diese werden pro Kind nach Einzelfallentscheidung gezahlt) künftig nur noch an einen Anspruch auf Mittel aus dem Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) knüpft, sofern die Kinder nicht bereits mit einem Sprachfördergutschein in die Kita kommen. Dies würde die Sprachförderung in den Kitas erschweren, weil nicht mehr alle Kinder mit Bedarfen gefördert würden.

So erklärte Jeannett Tschiersky vom Deutschen Kitaverband:

„Der BuT-Nachweis bildet soziale Bedürftigkeit ab – aber kein Sprachförderpotenzial“ […]. „Damit lässt sich nicht erkennen, wo tatsächlich zusätzlicher personeller Aufwand entsteht.“ […] „Einrichtungen, die viele Kinder mit sprachpädagogischem Förderbedarf betreuen, aber keine BuT-berechtigten Familien erreichen, würden künftig leer ausgehen. „Das ist eine gravierende Fehlsteuerung – zulasten der Chancengleichheit“

Lars Békési vom Verband kleiner und Mittelgroßer Kitaträger e.V. (VKMK) hierzu:

Das widerspricht unserem Verständnis von Partizipation“ […] „Unter Partizipation verstehen wir, dass alle Kinder teilhaben dürfen und nicht exklusiv nur 20% von 22.300 Kindern“ […] Eine Ausrichtung der Personalzuschläge allein am Bezug von BuT-Leistungen, die Quotierung der Zuschläge sowie der Ausschluss von mehreren Zehntausend Kindern ist aus unserer Sicht nicht gerecht und partizipativ, sondern selektiv.“.

Die Koalition bemüht sich…

…auch mit intensiver medialer Bewerbung um die Implementierung des „Kitachencenjahres“ und die Verbesserung des Fachkraft-Kind-Schlüssels in den Kitas sowie um die Versorgung von Jugendlichen ohne Schulabschluss und/oder Anschlussperspektive nach der Schule im Rahmen eines 11. Pflichtschuljahres.

Im Jahrzehnt zwischen der frühkindlichen Bildung und der beruflichen Bildung bleibt jedoch eine klaffende Lücke: eine flächendeckende und personell wie finanziell hinreichend unterlegte Sprach- und Mathematikförderung in den Grundschulen, die über Absichtserklärungen und Ankündigungen hinausgeht, ist nicht erkennbar. Zusätzliche Sprach- und Mathematikförderung in den weiterführenden Schulen findet in der Debatte seitens der Koalition beinahe gar nicht statt. Andere Entscheidungen, die getroffen wurden (beispielsweise bezüglich der Fachleitungen an Grundschulen), kommen zu langsam in die Umsetzung.

Die Hauptgeschäftsführerin der Industrie- und Handelskammer Berlin, Manja Schreiner, konstatiert ihrerseits mit Blick auf die jüngsten Ergebnisse der Vergleichsarbeiten und die vom Senat geplante Ausbildungsplatzumlage vielmehr „Damit wälzt die Politik die Verantwortung und Lösung der jahrzehntelangen verfehlten Bildungspolitik auf die Unternehmen ab.“

Beitragsbild: Marco Fechner/ideogram.ai