Als Vater stelle ich immer wieder fest: die Generation der heutigen Kinder und Jugendlichen spielte noch nie eine ernsthafte Rolle bei gesamtpolitischen Abwägungen. Die Interessen der Älteren gehen immer vor und am deutlichsten zu erleben war das wohl während der Corona-Lockdowns:

Den Kindern und Jugendlichen wurde abverlangt, zu Hause zu bleiben, während es hinreichend akzeptiert zu sein schien, dass Querschwurbler draußen auf Demos rumturnten und Leute, Politik und Polizei kirre machten. Andersherum wäre es richtig gewesen.

Kinder und Jugendliche erleben eine Krise nach der Anderen und einen Staat, der allzu häufig durch Dysfunktionalität oder Desinteresse „glänzt“, beispielsweise im Bildungswesen, beim Umgang mit der Klimakrise, aber auch, wenn es um Freizeitangebote und Begegnungsorte geht, oder die Frage, wo und wie man eine erste eigene und vor Allem bezahlbare Wohnung findet.

Als Elternteil erlebt man diese Vernachlässigung insbesondere bei allen Themen, die sich um den „organisatorischen Teil“ des Großwerdens drehen:

Die Suche nach einer Hebamme, nach einem Kitaplatz, nach einem zügigen Elterngeldbescheid, nach einem Kinderarzt, nach einer bezahlbaren und familientauglichen Wohnung, nach Betreuungsangeboten, nach bezahlbaren Freizeitangeboten, nach weiterführenden Schulen, nach einem familienfreundlichen Arbeitszeitmodell etc.

Die Liste ist gefühlt unendlich lang.

Eigentlich ist man permanent am Suchen und kämpfen und hofft, irgendwo noch einen freien und bezahlbaren Platz für sein jeweiliges Anliegen zu finden. Den „Negativjackpot“ hat man in diesem Land als Alleinerziehende:r gewonnen, und/oder wenn man ein Kind hat, das nicht in die Raster des Bildungswesens passt. Auch Eltern spielen jenseits von Sonnntagsreden keine Rolle. Familien sind allzu häufig nur dann ernst gemeinter Gegenstand der Debatte, wenn es darum geht, ihnen vorzuschreiben, wann man eine „richtige“ Familie ist.

Das mit dem zügigen Kindergeldbescheid könnte sich hingegen bald als „gelöst“ darstellen, weil das Elterngeld wieder abgeschafft werden könnte, wie man aus Verhandlungskreisen der wohl künftigen Koalition hört. Vielleicht ist es aber auch nur eine Scheindebatte, um hinterher sagen zu können, dass man im Sinne der Familien hart rausgehandelt hat, dass sich nichts ändert.

Mit den Familien kann man es ja machen und außerdem haben die ja erst kürzlich auch eine Kindergelderhöhung von 5€ bekommen.

Die heutigen Kinder und Jugendlichen wachsen in einer Welt auf, die sich von ihren Interessen abgekoppelt hat und die an sämtlichen Enden zunehmend entsolidarisiert wird. Sie erleben eine von Alten und Reichen dominierte Welt, die das, was da ist, unter sich aufteilen. Sie erleben eine Welt, die tausend Erwartungen an sie stellt, die sich aber weigert, konzeptionell mindestens 20 Jahre voraus zu denken. Wir erzählen den Jugendlichen, sie sollen in Physik aufpassen, statt zu demonstrieren, während ein relevant großer und relevant mächtiger Teil von uns Erwachsenen den Treibhauseffekt leugnet.

Bei der Bundestagswahl 2025 waren fast 70% der Wahlberechtigten 50 Jahre und älter. 42% der Wahlberechtigten waren über 60, aber nur rund 13% unter 30 Jahre alt. Die 18- bis 20-Jährigen stellten verschwindend niedrige 2,4%, der Wahlberechtigten (Statista). In den Wahlumfragen würde man von „Sonstigen“ sprechen. Wenn man mit Jugendlichen spricht, stellt man schnell fest, dass sie auch wissen, dass sie eine gesellschaftliche Randgruppe sind.

Ein Dutzend Familien in Deutschland besitzt so umfassende Privatvermögen, dass sie den gesamten Bundeshaushalt mehrfach allein stemmen könnten, während für eine Kindergrundsicherung wohl auch weiterhin das Geld fehlen wird und allen, die diesen Umstand kritisieren, „Neid“ attestiert wird.

Jede:r Bürgergeldempfänger:in wird bei der Antragstellung rauf- und runterbeleuchtet, ob nicht auf irgendeinem Konto eines der Kinder noch 5€ liegen, aber die Vermögensfeststellung bei den Reichsten soll den Finanzämtern angeblich nicht möglich sein, weil das zu bürokratisch sei.

Es ist schlichtweg unvorstellbar.

Und in dieser Situation wird eine Debatte darüber angestoßen, dass junge Menschen wieder zur Bundeswehr eingezogen werden sollten.

Als politisch informierter Bürger, überzeugter Anhänger der europäischen Einigung und Freund der Unverrückbarkeit von Staatsgrenzen verstehe ich die Debatte über die Wehrpflicht sehr gut. Als Vater zerreißt sie mich innerlich. Nach der Einschlafbegleitung noch Nachrichten zu lesen, ist noch mehr eine Qual, als in diesen Zeiten ohnehin schon. Ich habe noch das friedliche Säuseln meines schlafenden Kindes in meinem inneren Ohr und lese gleichzeitig was von Manövern, Angriffskriegen und Aufrüstung. Ja sind wir denn als Menschheit kollektiv wahnsinnig geworden!?

Als Bürger empört mich diese Debatte, weil das der gleiche Staat ist, der den Kinder und Jugendlichen kaum noch ernst gemeinte Zukunftserzählungen anbieten möchte und der ein Fünftel der Kinder und Jugendlichen in Armut zurücklässt. Der aber gleichzeitig erwartet, dass diese unser Land verteidigen.

Ich verstehe sehr viele Jugendliche, die angesichts dieser Umstände nicht wissen, für was sie eine Waffe in die Hand nehmen sollten.

Ich schrieb oben bewusst „Unser Land“, auch, wenn es vielleicht etwas schwülstig klingen mag. Trotz aller Probleme leben die meisten von uns im Vergleich immer noch unfassbar privilegiert und ich persönlich finde, dass diese Gesellschaft es wert ist, sich für sie einzusetzen und auch, sie zu verteidigen.

Das machen zig Millionen Menschen jeden Tag, indem sie auf unterschiedlichste Weise dazu beitragen, dass „wir“ zusammen und/oder in friedlicher Koexistenz eine gute Zeit auf diesem Planeten haben können. Das sind die Menschen, mit denen ich mich innerlich verbunden fühle, selbst, wenn ich sie nicht kenne. Das sind die Menschen, auf deren Erfahrungen und Empfehlungen „die Politik“ hören sollte, statt auf irgendwelche Stammtischparolen.

Menschen, die im zivilen und alltäglichen Bereich dafür sorgen, dass diese Gesellschaft in jeder erdenklichen Art von Ernstfall von Armut bis Pandemie „resilient“ ist, wie es akademisch oft heißt. Es meint: anpassungsfähig. In der Lage, mit veränderten Gegebenheiten umgehen zu können. Die in ihrem Job eine Beitrag dazu leisten, oder im Ehrenamt. Diejenigen, die Menschen zusammenbringen und auch diejenigen, die ihre Kinder zu sozial kompetenten Menschen erziehen, was in diesen Zeiten schwer genug ist.

Wie erklärt man dem Filius, dass man denkt, bevor man spricht und dass man Konflikte respektvoll mit Worten austrägt und Lösungen sucht, während die Nachrichten von Leuten wie Trump, Putin und anderen dominiert werden? Während ein Kanzlerkandidat erklärt, er würde „keine Politik für“ wie er weite Teile der Bevölkerung nennt „linke Spinner“ machen, die gegen gemeinsame Abstimmungen des Kandidaten mit Extremisten demonstrieren?

Um die Debatte über eine Wehrpflicht kommen wir nicht drumherum und der Nachrichten lesende Bürger in mir versteht das auch, während der Vater in mir schreit.

Die Fragen, die ich mir stelle:

– Was kann mein persönlicher Beitrag sein, eine Gesellschaft mitzugestalten, die zu stark ist, um angegriffen zu werden, sei es mit Waffen, mit Desinformation oder womit auch immer? Eine Gesellschaft, die aus sich heraus so stark ist, dass keins meiner Kinder oder ich je mit einer Waffe in der Hand kämpfen müssen?

– Wie gestaltet man eine Gesellschaft, in der Kinder und Jugendliche ein ernstgenommener Teil sind und in der sie ein aktiver und gestaltender Teil sein wollen? Eine Gesellschaft, an deren Wohlstand sie auch teilhaben können? Mein Eindruck ist, dass viele der politisch Handelnden immer noch nicht verstanden haben, dass die sehr naheliegende Antwort „Dann sollen sie arbeiten gehen“ allein keine Lösung ist, da schon die zugrunde liegende Problembeschreibung zu kurz greift.

– Wie kann man diejenigen aus verantwortlichen Positionen drängen, die diese Gesellschaft immer weiter entsolidarisieren? Die insbesondere den Schwächsten ständig irgendwelche Beiträge einfordern, aber nie von den Reichsten dieses Landes?

– Wie organisiert man eine solidarische Gesellschaft, in der Solidarität mehr ist, als ein Lippenbekenntnis, ein Klatschen auf dem Balkon oder irgendein vorübergehendes Banner im eigenen Social Media-Header?

– Wie organisiert man einen Staat, der in der Lage ist, demokratisch UND zügig gute Entscheidungen zu treffen?

Ich maße mir keine abschließenden und allgemeingültigen Antworten auf diese Fragen an. Ich bin mir aber sicher, dass eine weitere Entsolidarisierung mit Menschen, gleich, von wo sie kommen, oder wie wenig Geld sie haben, kein Teil der Antwort ist.

Und statt Kindern und Jugendlichen immer mehr gesellschaftlich abzuverlangen, wäre es an uns Erwachsenen, politisch mal was für die Kinder und Jugendlichen zu tun. Mit ihnen zu reden, statt über sie, könnte ein Anfang sein.

Aber auch nur ein Anfang.

Beitragsbild: Marco Fechner via Ideogram.ai