Man könnte die jüngst aufgekommene Debatte um die Mittelverwendung bei der Demokratiebildung im Einzelplan 10 (Bildung, Jugend und Familie) des Berliner Landeshaushalts für eine haushaltstechnische Diskussion halten. Tatsächlich jedoch ist sie mittlerweile symptomatisch für wiederholte Versuche der Hausspitze der Bildungsverwaltung um Senatorin Günther-Wünsch und ihren Staatssekretär Liecke (beide CDU), direkten Zugriff auf die Berliner Demokratie- und Gesellschaftsbildung zu bekommen.

Worum geht es?

Vom Abgeordnetenhaus wird im Rahmen der Verhandlungen für den Landeshaushalt festgelegt, wie viel Geld den einzelnen Ressorts zur Verfügung gestellt wird und wofür diese Gelder zu verwenden sind. Teilweise entscheiden die Ressorts dann innerhalb der Titel ihres jeweiligen Haushalts selbst, wofür sie diese Gelder dann im Detail ausgeben, teilweise werden durch das Abgeordnetenhaus konkrete Festlegungen getroffen, welche Auftragnehmer in Anspruch zu nehmen sind.

Letzterer Fall betrifft seit etlichen Jahren einen Teil des Bildungshaushalts. In diesem Teil wird festgelegt, welche Angebote der Demokratiebildung von welchen Trägern mit welchem Auftragsvolumen einzukaufen sind. Die zurückliegenden Koalitionen haben sich auf diese detaillierten Festlegungen verständigt, unter Anderem, um zwischen den Koalitionspartnern einen Konsens bei der Demokratie- und Gesellschaftsbildung zu finden.

Bildungssenatorin Günther-Wünsch hat nun einen Entwurf an das Abgeordnetenhaus gesandt, in welchem von diesem Verfahren abgesehen werden soll und begründet das damit, dass andere Ressorts diese Freiheiten innerhalb ihrer Haushalte auch hätten. Die Bildungsverwaltung möchte selbst entscheiden, welche Träger mit welchen Angeboten sie künftig beauftragt. Der Koalitionspartner SPD hat hierauf bereits empört reagiert.

„Damit ist die Streichung von etablierten Trägern zu befürchten, die über Jahre hinweg aufgebaut und strukturell gestärkt wurden.“

Maja Lasić und Marcel Hopp, fachpolitische Sprecher:innen der SPD-Fraktion.

Rückblick

Diese Debatte ist insofern symptomatisch, als dass sie insbesondere an die Diskussion um die Unabhängigkeit der Landeszentrale für politische Bildung im vergangenen Jahr erinnert. Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) hatte im Sommer 2024 eine Stabstelle für politische Bildung einrichten wollen, die dem Leitungsstab ihres Hauses unmittelbar nachgeordet werden sollte (ich berichtete ausführlich).

Die per Gesetz eigentlich unabhängige Landeszentrale für politische Bildung sollte mit dieser Stabstelle künftig ihre Materialien, Trägerauswahlen und Jahresprogramme abstimmen. Der Koalitionspartner SPD ging auf Konfrontation, eine Debatte im Kuratorium der Landeszentrale eskalierte und fand schließlich ihren Wiederhall in einer heftig geführten Debatte im Abgeordnetenhaus und der Berliner Stadtöffentlichkeit.

Die Senatorin bemühte sich, diese Planungen als technische Frage von Abläufen einzuordnen. SPD, Grüne und Linke deuteten diese Planungen mit weiten Teilen der Stadtgesellschaft als Versuch der parteipolitischen Einflussnahme und lehnten sie scharf ab. Auch die AfD deutete diese Planungen politisch motiviert, befürwortete diese aber ausdrücklich.

Der entstandene Eindruck wurde auch dadurch verstärkt, dass die Senatorin und ihre Staatssekretär:innen die Leitung dieser Stelle ohne Ausschreibung besetzen wollten. Dass Jugendstaatssekretär Liecke (CDU), der die Trägerauswahlen und Programmentscheidungen früherer Koalitionen seit Längerem schon kritisiert, forderte, bei Trägerauswahlen solle man künftig auch den Verfassungsschutz einbeziehen, eskalierte die Debatte zusätzlich.

Letztlich scheiterte die Stabstelle formal am Personalrat der Bildungsverwaltung, der eine Besetzung der Leitung ohne Ausschreibung untersagte. Politisch scheiterte die CDU an der Debatte mit Parlament und Stadtgesellschaft.

Berliner Bildungsprogramm

Ebenfalls symptomatisch ist die aktuelle Diskussion, wenn man die anlaufende Debatte zum Entwurf des zu überarbeitenden Berliner Bildungsprogramms unter Federführung von Jugendstaatssekretär Liecke (CDU) betrachtet. Die Gewerkschaft VER.DI kritisierte in einer Pressemitteilung bereits

„Die Überarbeitung geschieht ohne systematische Einbeziehung relevanter gesellschaftlicher Akteure. So ist der Entwurf nicht offiziell von der Bildungssenatsverwaltung weder an ver.di, noch an zahlreiche Fachstellen für diskriminierungssensible pädagogische Arbeit übermittelt worden. […]

Der aktuelle Entwurf stellt nach Einschätzung der Gewerkschaft ver.di im einen erheblichen „Rückschritt in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts“ dar […] Trotz wohlklingender Einleitungstexte verliert das Programm an pädagogischer Tiefe und stellt einen Rückschritt bei der Förderung von demokratischer Kultur und professioneller Haltung dar. […] Besonders problematisch ist der Abbau partizipativer Elemente, das Fehlen klarer Benennungen von Diskriminierungen, und der Bedeutung sozialer Herkunft und Vielfalt.

Jegliche Bezüge zu z.B. Antidiskriminierungspädagogik, geschlechterreflektierter oder rassismuskritischer Pädagogik fehlen – obwohl sich die pädagogischen Standards und fachlichen Diskurse in diesem Bereich deutlich weiter entwickelt haben.“

Muster

Jede dieser Debatten hätte mehr Durchgriffsrechte der politischen Hausleitung und weniger gesellschaftliche Beteiligung sowie Beteiligung des Parlaments zur Folge. Im aktuellen Haushaltsentwurf der Bildungssenatorin finden sich Kürzungen insbesondere bei interkultureller Bildung, sexueller Vielfalt und Projekten im Bereich der Prävention gegen islamistischen Antisemitismus. Diese inhaltlichen Priorisierungen fanden und finden sich immer wieder auch in anderen Verlautbarungen der Berliner CDU und ihrer Funktionsträger. Es handelt sich insofern nicht um technische Fragen, sondern um wiederkehrende inhaltliche Muster, die sich zudem auch auf der Bundesebene der CDU spiegeln und auf eine eher politische Motivlage hindeuten. Die Berliner SPD als Koalitionspartner hat bisher keins dieser Vorgehen mitgetragen, sondern zum Teil scharf widersprochen.

Wer die Demokratiebildung in Berlin verantworten möchte, sollte auf Stabstellen oder Freifahrtscheine im Haushalt verzichten und die Debatte mit der Stadtgesellschaft führen wollen. In einer Stadt wie Berlin mit ihrer sehr vielfätigen Gesellschaft gilt es, Brücken zu bauen.

 

Beitragsbild: Senatorin Günther-Wünsch und Staatssekretär Liecke (beide CDU) im Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses.