Das Abgeordnetenhaus debattierte am 06.11.2025 über einen Antrag der CDU-SPD-Koalition zur Stärkung der beruflichen Orientierung an den Berliner Schulen. Hintergrund ist unter Anderem, dass je nach Ausbildungsgang etwa 10-30% der Auszubildenden ihre Ausbildung vorzeitig abbrechen (vgl. hierzu mein Interview mit IHK-Hauptgeschäftsführerin Manja Schreiner). Allzu häufig sind falsche Vorstellungen vom Ausbildungsberuf der Grund.

Die Berliner Koalition hat sich deshalb dran gemacht, die Konzeption der beruflichen Orientierung anzupassen. Dies meint insbesondere eine Ausweitung der beruflichen Orientierung auch an den Gymnasien.

Laut Marcel Hopp (SPD) muss sich die berufliche Orientierung aus SPD-Sicht an den Bedürfnissen der Jugendlichen und deren Fähigkeiten und Kompetenzen orientieren. Man könnte diesen Satz als Seitenhieb an manche Akteur:innen im Berliner Landespolitikbetrieb verstehen, die gern mehr im Sinne von Unternehmensinteressen orientieren würden.

„Kein Kind darf verloren gehen“, so Hopp. „Eine starke Berufsorientierung hilft aktiv dabei, die Übergänge hürdenfreier zu organisieren und die Abbrecherquote in Schule und Ausbildung substanziell zu senken.“ Marcel Hopp verwies auch auf die Einführung des elften Pflichtschuljahrs. Die berufliche Orientierung soll künftig frühzeitiger, bereits in der Grundschule beginnen. Das bisher nur an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen vorgesehene Fach „Wirtschaft-Arbeit-Technik“ solle auch an Gymnasien eingeführt werden.

Die SPD sieht hierin ein weiteres Fach der Stundentafel, welches jedoch nicht zulasten anderer Fächer gehen dürfe. Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) hingegen hat die Gymnasien jüngst per Rundschreiben angewiesen, die Kapazitäten aus dem bestehenden Stundenkontingent zu nehmen. Die jeweiligen Schulgremien sollten sich hierzu miteinander ins Benehmen setzen.

Louis Krüger (Bü´90/Grüne) erklärte, 14-Jährige würden Entscheidungen treffen, die bis in die 2060er Jahre reichen. Es sei wichtig, dass das neue Konzept das bestehende „Landeskonzept Berufliche Orientierung“ erfüllt und nicht nur „umarmt“. Er erneuerte die Kritik seiner Fraktion am 11. Pflichtschuljahr, dass dieses nicht das richtige Instrument sei, da die betreffende Zielgruppe bereits in den zehn davor liegenden Jahren gescheitert sei. Es sei richtig, dass die berufliche Orientierung innerhalb der Erfüllung der allgemeinen Schulpflicht stattfindet.

Mittelkürzungen bei der Jugendberufsagentur und den außerschulischen Angeboten sollten zurückgenommen werden. Der Antrag sei nicht ambitioniert genug, sondern „additiv“ und würde somit lediglich Mehrarbeit verursachen. Er brächte den Schulen „Mehr Pflichten, ohne die Qualitätsarchitektur mitzuziehen“. Louis Krüger forderte eine „Modernisierung von Werkstätten und eine Stärkung der Ausbildung der Lehrkräfte an Hochschulen.“

Er forderte Vertreter:innen der beruflichen Schulen auch an den Gymnasien und kritisierte, Gymnasien würden mit der Umsetzung des WAT allein gelassen. Er forderte statt einer Schaffung eines weiteren Netzwerkes einen Rückgriff auf Strukturen und Angebote aus dem „Bündnis für Ausbildung“.

Sandra Khalatbari (CDU) unterstrich für ihre Fraktion, „der Antrag ist ein starkes Zeichen“ und dankte den Koalitionären. Er sei eine „Investition in die Zukunftschancen unserer Schülerinnen und Schüler“. Sie schilderte, Schülerinnen und Schüler „verlieren sich zwischen über 350 Ausbildungsmöglichkeiten und vielfältigen Studienwegen“. Die berufliche Orientierung müsse „Früher, praxisnäher und verbindlicher“ ansetzen. Bereits ab Klasse 5 sollen Schüler:innen Interessen und Kompetenzen erkunden. Wichtig und vorgesehen seien „Unternehmensbesuche in Klasse 7, Werkstattkurse in Klasse 8, Betriebspraktikum in Klasse 9 und ein weiteres Praktikum in Klasse 10.“ Ziel müssten „Bessere Abschlüsse, weniger Ausbildungssabbrüche, mehr berufliche Zufriedenheit und eine stärkere Wirtschaft für Berlin“ sein. 

 

Franziska Brychcy (LINKE) wurde für ihre Fraktion deutlich: „So einen kenntnislosen Antrag wie diesen habe ich noch nicht vorgelegt bekommen und ich frage mich, ob Sie uns veräppeln wollen, das ist das freundliche Wort“ rief sie den Koalitionären entgegen.

Angebote der frühen beruflichen Orientierung ab Klasse 5, wie im Konzept vorgesehen, stünden bereits sei November 2023 im Landeskonzept berufliche Orientierung. R2G hätte seinerzeit das Konzept „Schulpate“ der Handwerkskammer deutlich gestärkt. Dieses fehlt im Haushaltsplan ebenso wie das „Haus der kleinen Forscher“.

Sie erhob den Vorwurf an die Koalition, die berufliche Orientierung vorgeblich zu stärken und gleichzeitig erfolgreiche Projekte zu streichen.

Sie wiederholte die Forderung der Koalition, Betriebserkundungen und berufspraktische Erprobungen sollten künftig stattfinden, dies stünde jedoch bereits im Landeskonzept berufliche Orientierung ebenso, wie Betriebspraktika in Klasse 9 und 10. Franziska Brychcy in Richtung der Koalition: „Mir scheint, Sie haben das Landeskonzept nicht gelesen.“

Die erklärte Einführung des WAT-Unterrichts an Gymnasien sei eine „Mogelpackung“, da es sich lediglich um „berufsorientierenden Unterricht“ und nicht um WAT-Unterricht handeln würde. Es gäbe an den Gymnasien weder Werkstätten, noch WAT-Lehrkräfte.“ Zur Neuregelung an den ISSen erklärte sie, WAT-Unterricht an ISSen würde lediglich anders verteilt, aber nicht ausgebaut.

Sie kritisierte, „die Evaluation, die aufsuchende Berufsberatung, Ferienschulen und Praxislernklassen im Einzelplan 10“ (Haushalt der Bildungsverwaltung) seien „ganz oder teilweise gestrichen“ worden. Die Koalition würde mit ihrem Antrag fordern, was vorher von ihr gestrichen wurde, oder bereits seit Jahren Praxis sei, wie „Partner Schule Wirtschaft“.

 

Der Sprecher der AfD trat als Letzter ans Pult und wusste für seine Fraktion zu berichten, eine „Bessere Berufsorientierung“ sei „eine Möglichkeit, die Motivation zu erhöhen und damit die Jugendarbeitslosigkeit zu senken“. Er forderte mehr praktische Erfahrung für die Jugendlichen. „Jugendliche müssen endlich ins Machen kommen“.

Er erklärte, Schüler:innen sollen „Betriebe praktisch kennenlernen“. Jede/r Schüler:in sollte „vorher beispielsweise den „Talentecheck“ absolvieren“, womit sich seine Fraktion im Ideenbereich bereits stattfindender Umsetzungen befand.

Er fand es noch wichtig, zu erwähnen, dass Pädagog:innen mehr Zeit mit den Schüler:innen zur zur Eignungsfeststellung haben sollten. Der Lehrplan Wirtschaft-Arbeit-Technik sei „überladen um Ernährung, Gesundheit, Verbraucherbildung und allgemeine Lebensführung“. Die berufliche Orientierung und die ökonomische Bildung sollten gestärkt werden. WAT-Unterricht an Gymnasien sieht er kritisch, da Gymnasien auf ein Studium vorbereiten sollten und nicht auf eine Ausbildung.

Die Information, dass sehr vieler Berufe an Komplexität gewinnen, so dass viele Ausbildungsberufe zunehmend auch ein Abitur erfordern und dass viele Studiengänge mittlerweile auch dual stattfinden, hat offenbar noch nicht alle Akteur:innen erreicht.

Mitschnitt der Debatte durch den RBB

Beitragsfoto: Marcel Hopp (SPD), Screenshot vom RBB-Stream.