Spätestens mit der Nominierung von Steffen Krach durch die Berliner SPD am gestrigen Montag ist der Wahlkampf in Berlin für die Abgeordnetenhauswahl 2026 eröffnet.
Die Grünen haben bereits erklärt, mit Werner Graf und Bettina Jarasch antreten zu wollen. Dass die CDU mit Kai Wegner in den Ring steigt, dürfte außer Frage stehen. Die Linkspartei hat noch keine Entscheidung getroffen.
Hier schonmal eine (unvollständige) Liste von Themen, die im kommenden Jahr einer dringenden Debatte bedürfen.
1. Inklusive Stadt und inklusive Schulen
Berlin hat sich zwar immer wieder vorgenommen, eine inklusive Stadt zu sein (zuletzt seitens des jüngst nominierten Spitzenkandidaten der Berliner SPD), faktisch wird Berlin diesem Anspruch aber in vielen Bereichen nicht gerecht.
Besonders augenfälig ist das in den Schulen, die zwar nach dem Schulgesetz inklusiv arbeiten sollen, faktisch werden aber viele Schülerinnen und Schüler aus dem Regelsystem ausgegrenzt und/oder erhalten nicht die ihnen zustehenden Unterstützungsangebote, um Teilhabe und Bildung wirklich in Anspruch nehmen zu können. Unter der aktuellen Senatskoalition erlebt Berlin sogar Rückschritte.
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist – auch darauf musste der aktuelle Senat immer wieder hingewiesen werden – kein Gegenstand lokaler Interpretation und Förderzentren sind auch weiterhin keine Inklusion. Wenn Berlin nicht in der Lage ist, Kinder adäquat zu beschulen, ist dies nicht nur gegenüber den Kindern ein Vergehen, sondern es hindert häufig auch Eltern daran, einem Job nachzugehen.
Durch die geplanten und vorgenommenen Einsparungen insbesondere bei der kiezbezogenen und aufsuchenden sozialen Arbeit wird die gesellschaftliche Teilhabe vieler Familien erschwert, oder gar unmöglich gemacht.
Ein künftiger Senat muss an diesen Stellen deutlich nacharbeiten.
2. Schulplätze, Lehrkräfte und Schulleistungen
Nicht nur der Lehrkräftemangel bleibt weiterhin ein drängendes Thema, sondern auch dessen Verteilung innerhalb des Stadtgebietes. Häufig kämpfen ausgerechnet diejenigen Schulen mit einer niedrigen Fachkräftequote, die aufgrund der Sozialstruktur ihrer Schüler:innenschaft eigentlich besonders viele voll ausgebildete Fachkräfte benötigen würden.
Die Steuerung der Lehrkräfteverteilung ist seit Jahren Diskussionsthema zwischen den aktuellen Koalitionspartnern. Während die SPD eine gezielte Zuweisung von Lehrkräften präferiert, bevorzugt die Berliner CDU mit Bildungssenatorin Günther-Wünsch eher die Steuerung über die Zuweisung von Referendar:innen in der Hoffnung, dass diese nach Ende des Referendariats an ihrer Schule bleiben.
Politisch bleibt diese Frage eine mit Sprengkraft, da es widerum die vergleichsweise gut ausgestatteten Kieze und Schulen sind (die bei einer Verteilung abgeben müssten), deren Schulgemeinschaften in der Lage sind, die öffentliche Debatte zu prägen.
Ebenfalls drängend bleibt die Frage der Schülerleistungen. In den letzten Erhebungen (insbesondere IQB-Trend und VERA 3/8) war ein allgemeiner Abfall der Schülerleistungen erkennbar, jedoch ist auch dieser – gemessen an den Schüler:innen, die die Schule ohne Abschluss verlassen – ungleich im Stadtgebiet und unter den Schulen verteilt.
Sowohl die schlechten Schülerleistungen müssen weiter angegangen werden, als auch diejenigen Schulen gestärkt werden, die mit besonders großen Problemen kämpfen.
Mittlerweile ein trauriger Klassiker: die Schulplatztombola nach Klasse 6 beim Übertritt an die weiterführenden Schulen. Insbesondere in Pankow ist dieses Problem seit Jahren besonders groß: rund 20% der Schülerinnen und Schüler pro Jahrgang können nicht an einer Schule innerhalb des Bezirks „versorgt“ werden.
Zuweisungen in Bezirke wie Steglitz-Zehlendorf oder Charlottenburg führen dadurch nicht nur zu weiten Schulwegen, sondern auch zur Gefährdung von Freundschaften, Familienzeiten und anderen Freizeitaktivitäten.
Ebenfalls wird die Finanzierung der freien Schulen ein Thema bleiben. Hier gab es zwar zuletzt einen Kompromiss zwischen der Senatskoalition und den Trägern der freien Schulen, ob dieser jedoch dazu führen wird, dass die Schulplätze in freier Trägerschaft (immerhin rund 10% der Berliner Schulplätze) vollständig gesichert werden können, ist offen.
3. Verkehrssicherheit und Mobilität
Die aktuelle Senatskoalition hat jüngst den (mittlerweile seit 4 Tagen zugestauten) 16. Abschnitt der A100 eröffnet, die öffentlichen Verkehrsmittel, auf die insbesondere Kinder und Jugendliche angewiesen sind, bleiben jedoch ein Problemfall. Nicht fahrende S- und U-Bahnen führen nicht nur zu Unterrichtsverspätungen.
Gleichzeitig bleibt der öffentliche Raum für Kinder und Jugendliche ein Gefährdungsort. Erst jüngst kam ein Kind im Straßenverkehr im Beisein seiner Mutter ums Leben und ausgerechnet am gleichen Tag verkündete die Verkehrsverwaltung unter Senatorin Bonde (CDU), auch in Straßen mit Kitas zum Tempo 50 zurückkehren zu wollen.
Das ist kinder- und familienfeindliche Verkehrspolitik.
Dass die Bildungssenatorin immer wieder das kostenfreie BVG-Ticket für Kinder und Jugendliche infrage stellt, fügt sich genauso ein in das Bild, wie die beinahe schweigende Begleitung der Rückabwicklung des Deutschlandtickets durch die Senatskoalition.
4. Mietenpolitik
Ein Punkt, der sich mittlerweile mehr als selbst erklärt. Für Familien bedeutet die aktuelle Wohnungsmarktlage, dass sie entweder in zu kleinen Wohnungen bleiben, oder exorbitant hohe Mieten zahlen müssen (sofern sie überhaupt eine Wohnung finden).
Wer eine Familie gründet und eine Wohnung mit einem Zimmer mehr, als vorher sucht, zahlt mittlerweile häufig nicht nur das Doppelte, sondern sogar das Dreifache der vorangegangenen Miete. Dieser Umstand wird auch dafür mitverantwortlich gemacht, dass es in einigen Kiezen mittlerweile so viele offene Kitaplätze gibt, dass die Träger in Schieflagen geraten: es ziehen keine jungen Familien mehr dort hin.
Die steigenden Mieten bringen auch für die Kitaträger Probleme mit sich: die gestiegenen Gewerbemieten liegen mittlerweile so deutlich über den Pauschalen, die das Land Berlin zahlt, dass Träger sich Mieten nicht mehr leisten können. Insbesondere für kleine und mittelgroße Träger sowie Elterninitiativkitas mit wenigen Kindern kann dies das Aus bedeuten.
5. „Kostenlosstadt“
Kritiker der Kostenbeteiligungsfreiheit bei den Kitas, den schulischen Lehr- und Lernmitteln, dem Schulmittagessen und der Ergänzenden Förderung und Betreuung („Schulhort“) bezeichnen Berlin regelmäßig als „Kostenlosstadt“ und fordern eine Wiedereinführung der Kostenbeteiligung, damit besserverdienende Familien einen Beitrag leisten können, um die städtischen Ausgaben zu senken.
Ginge man davon aus, dass die früher geltenden Kostenbeteiligungssätze angelegt würden, würde dies auch für Durchschnitsverdiener zu monatlich durchschnittlich zusätzlichen dreistelligen Kosten pro Kind führen. In Kombination mit den gestiegenen Mieten und allgemeinen Lebenshaltungskosten wäre diese Rückabwicklung ein Problem für sehr viele Berliner Familien insbesondere aus der finanziellen Mittelschicht.
Dennoch sind diese Posten immer wieder Gegenstand von Debatten. Die Kernfrage: betrachtet das Land Berlin Bildung und Erziehung von Kindern und die Ausstattung der Berliner Bildungseinrichtungen als Gemeinschaftsaufgabe, die von allen Berliner:innen finanziert wird, oder sollen Eltern mit zusätzlichen Gebühren beteiligt werden? Diese Diskussion muss offensichtlich geführt werden.
6. Kinderarmut
Berlin ist die Hauptstadt der Kinderarmut. Jede:r vierte Minderjährige in Berlin wächst in Armut mit all ihren Folgen und Begleiterscheinungen auf. Berlin hat seit Jahren eine Armutsstrategie, die die Folgen von Armut lindern soll, die Bekämpfung der Armut selbst scheitert jedoch regelmäßig.
Die ebenfalls aus CDU und SPD bestehende Bundesregierung hat sich derweil darauf verlegt, Arme zu bekämpfen und nicht deren Armut. Eine künftige Senatskoalition wird einen anderen Ansatz benötigen.
Ebenfalls wird sich ein künftiger Senat mit der Frage befassen müssen, ob es beispielsweise sinnvoll wäre, gestrichene Angebote wie den „Museumssonntag“ wieder einzuführen, oder beim Bund für eine Wiedereinführung des Kulturpasses zu kämpfen.
7. Versorgung mit Ausbildungsplätzen
Seit Jahren kommt Berlin nicht vom Fleck, wenn es darum geht, Jugendliche mit Ausbildungsplätzen zu versorgen. Im hierzu gegründeten „Bündnis für Ausbildung“, welches unter Anderem aus verschiedenen Senatsverwaltungen, Gewerkschaftsvertreter:innen und den Kammern besteht, existiert ein erheblicher Dissens in der Frage, ob eine Ausbildungsplatzumlage das geeignete Instrument sein kann, um Ausbildungsplätze zu schaffen.
Die Kammern verweisen auf Passungsprobleme zwischen Betrieben und potentiellen Azubis (insbesondere mangelnde Berufsorientierung und schlechte Schülerleistungen), der Senat seinerseits fordert mehr Anstrengungen seitens der Ausbildungsbetriebe, um Jugendliche durch die Ausbildung zu begleiten. Die Berufsorientierung in den Schulen soll gestärkt werden. Die aktuelle Koalition hat hierfür das „elfte Pflichtschuljahr“ eingeführt und die Bildungsverwaltung überarbeitet derzeit das „Landeskonzept berufliche Orientierung“.
Auch bei den Ausbildungsplätzen spielen die Mieten eine Rolle: es gibt zu wenig bezahlbaren Wohnraum für Azubis und auch hier sind die Akteure uneins, wie die Lösung aussehen könnte. Während Gewerkschaften höhere Azubigehälter fordern, fordern die Kammern seit Jahren mehr Anstrengungen vom Senat bei der Schaffung von Wohnraum speziell für Ausbildende.
8. Kinderfreundliche Stadt
Berlin hat nicht nur das Problem, dass es für Familien immer teurer wird, es bietet auch nicht genügend Freizeitangebote für alle Kinder und Jugendlichen. Insbesondere Kinder und Jugendliche, die sich kostenpflichtige Angebote wie Vereine, Musikschulen oder Anderes nicht leisten können, landen wortwörtlich „auf der Straße“ und stoßen auf Bezirke, die ihrerseits um die Finanzierung jedes öffentlichen Angebots kämpfen müssen.
9. Kitaqualität
Die Kitaversorgung und ihre Qualität ist innerhalb Berlins sehr durchwachsen. Während einige Viertel beispielsweise in Teilen von Pankow mittlerweile damit konfrontiert sind, dass es mehr Plätze, als Kinder gibt, gibt es insbesondere in Randbezirken wie Marzahn-Hellersdorf, Spandau und Neukölln immer noch nicht genügend Plätze.
Weiter aktuell bleibt außerdem die Frage, wie Eltern möglichst niedrigschwellig an einen Kitaplatz kommen. Der aktuelle Senat hat hier mit der automatischen Gutscheinversendung einen Aufschlag gemacht. Dennoch bleiben rund 7% der Berliner Kinder zwischen 3 und 6 Jahren ohne Kitabesuch.
Ebenfalls ein Dauerproblem sind mangelnde Deutschkenntnisse bei der Einschulung mit allen Folgewirkungen. Diese betreffen auch sehr viele Kinder, die vor der Schule eine Kita besucht haben, weshalb hier verstärkte Anstrenungen unternommen und Programme verstetigt werden müssen.
10. Antidiskriminierung und Extremismus
Eine Vielzahl von Familien und Lebensentwürfen in dieser Stadt leidet und leiden mittlerweile unter andauernden Diskriminierungen und Bedrohungen. Rechtsextremismus, Antisemitismus von rechts, von links und aus anderen Richtungen, Islamfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit und andere „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeiten“ sind auf dem Vormarsch und werden gezielt befeuert.
Ein künftiger Senat wird in diesen Bereichen sowohl präventiv, als auch in der Bekämpfung mehr tun müssen. Auf dem CSD tanzen und eine Regenbogenflagge am Rathaus hissen, während eine gemobbte Lehrkraft beim Senat um ihre bis heute nicht erfolgte Rehabilitation kämpfen muss, ist zwar ein Bekenntnis, aber ein Anderes, als das möglicherweise Beabsichtigte.
Ebenso wird sich ein künftiger Senat mit der Frage eines Parteiverbotsantrags des Bundesrates gegen die A*D und der Bekämpfung des Rechtsextremismus und seiner Strukturen befassen müssen, wenn er es ernst meint mit dem Schutz der Vielfalt in dieser Stadt.
Die Frage, wie gesellschaftlicher Zusammenhalt gestärkt werden kann, ist keine nebensächliche, sondern eine sehr grundlegende für alles Andere. Ein Ansatz könnte eine deutliche Stärkung des Ehrenamts und der zivilgesellschaftlichen Organisationen sein.
Ein Thema, das nicht in den Wahlkampf gehört…
…aber trotzdem immer wieder schnelle Punkte im Wahlkampf-Bingo bringt: die Frage, wer denn aus Berlin kommt und wie lange schon. Tatsächlich waren nur drei der vorangegangenen 15 Regierenden Bürgermeister gebürtige Berliner (Klaus Wowereit, Eberhard Diepgen und Michael Müller). Nicht alle von Ihnen gehörten zu den Besten ihrer Zunft.
Hingegen war beispielsweise Richard von Weizsäcker gebürtiger Stuttgarter, Willy Brandt geborener Lübecker und Ernst Reuter kam aus einem Ort in Schleswig-Holstein. Alle zählen heute zu den Besten in ihren Ämtern.
Aktuell darf sogar jemand aus Spandau Berlin regieren. Berlin war, ist und bleibt also eine Stadt, die auch Talenten von außerhalb Chancen bietet.
