Der Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses tagte zur Erfassung der Lehrkräftearbeitszeit und es wurde ein Kampf um den thematischen heißen Brei: ein Teil der Fraktionen wollten mitten in selbigen rein, ein anderer Teil wollte lieber drumherum und Bildungssenatorin Günther-Wünsch (CDU) stellte beinahe beiläufig dar, dass Arbeitszeitverstöße durch die Lehrkräfte und nicht gewährleisteter Gesundheitsschutz den Job attraktiver machen würden. Aber von vorne.
Ein paar Basics vorweg
1. Warum eigentlich eine Zeiterfassung?
Der Europäische Gerichtshof hat 2019 in einem Urteil entschieden, dass sich die Pflicht zur Zeiterfassung aus der Europäischen Grundrechtecharta und dem Grundrecht der Arbeitnehmer*innen (Recht auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen inklusive des ausdrücklichen Rechts auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten) als wichtigem sozialpolitischen Grundsatz ergibt. Dies war das Ergebnis einer Klage einer spanischen Gewerkschaft gegen die Deutsche Bank. Das Bundesarbeitsgericht urteilte 2022, im Kontext des EUGH-Urteils, dass in Deutschland die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aufzuzeichnen ist.
2. Höchstarbeitszeiten
Höchstarbeitszeiten sind EU-weit durch die europäische Arbeitszeitrichtlinie im Grundsatz geregelt. Diese unterscheidet Beamte und Angestellte nicht und gilt insofern für beide Personengruppen. Es existiert die Möglichkeit der nationalen Gesetzgeber, Ausnahmen festzulegen. Dies gilt in Deutschland beispielsweise für Teile der Beschäftigten in Sicherheitsbehörden, so dass beispielsweise Polizeikräfte nicht mitten im Einsatz den Dienst beenden müssen, weil 10 Stunden vorbei sind. Nachvollziehbar. Für Lehrkräfte gelten diese Ausnahmeregelungen nicht, diese haben lediglich eine Besonderheit bei der Arbeitszeitbemessung (Daputatsmotell). Dazu weiter unten mehr.
Die Verpflichtung zur Zeiterfassung ergibt sich also aus dem „Recht auf gesunde und sichere Arbeitsbedingungen inklusive des ausdrücklichen Rechts auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit sowie auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten“ (VER.DI). Diese beiden Aspekte (Zeiterfassung und Gesundheitsschutz) hängen insofern zusammen und sie waren auch der Grund, aus dem sich nun auch der Bildungsausschuss des Abgeordnetenhauses sechs Jahre nach dem EUGH-Urteil und drei Jahre nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts auch mit der Zeiterfassung der Lehrkräfte auseinandersetzte.
3. Tages-, Wochen- und Jahresarbeitszeit
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie legt eine Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden fest. Die deutsche Gesetzgebung definiert als tägliches durchschnittliches Maximum den 8-Stunden-Tag. Dieser kann überschritten werden, in einer Woche darf aber verbindlich nicht mehr als 48 Stunden gearbeitet werden. Arbeitstage, die länger als 10 Stunden dauern, sind verboten. Regelmäßige Überschreitungen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit müssen innerhalb von geregelten Zeitfenstern ausgeglichen werden.
Dieser Ausgleich kann beispielsweise auch monats- und quartalsweise erfolgen, er muss aber mindestens innerhalb eines Jahres erfolgen und so kalkuliert auch die Bildungsministerkonferenz die Lehrkräftearbeitszeit: einer Überschreitung der Lehrkräftearbeitszeit in den Unterrichtsmonaten folgt eine Unterschreitung in den Ferien (wobei in den Ferien sowohl der reguläre Urlaub, als auch der Zeitausgleich zusammenfallen, da Ferien und Urlaub nicht das Gleiche sind). Es gilt insofern eine Jahresarbeitszeit. Aber auch bei dieser gilt eine Wochenhöchstarbeitszeit von 48 Stunden und es gelten auch die…
4. Ruhezeiten
Die EU-Arbeitszeitrichtlinie und die Deutsche Gesetzgebung legen fest fest, dass Beschäftigte Anspruch auf eine Ruhepause von durchgängig 11 Stunden innerhalb eines 24-Stunden-Intervalls haben. Arbeitgeber (und bei Beamten die Dienstherren) haben insofern im Rahmen ihrer Fürsorgepflicht die Arbeit so zu organisieren, dass diese 11 Stunden ausnahmslos eingehalten werden können.
Das kann beispielsweise bedeuten, dass die Arbeitszeit im Lauf des Tages unterbrochen und wieder aufgenommen werden kann, nach dem Dienstschluss am Abend müssen aber mindestens 11 Stunden bis zur erneuten Aufnahme der Arbeit liegen. Weiterhin ist mindestens einmal in der Woche eine Ruhepause von durchgängigen 24 Stunden zu gewährleisten.
Bedeutet konkret: wer morgens um 7:30 Uhr den Dienst aufnimmt, muss am Vorabend spätestens um 20:30 den (Korrektur)stift fallen lassen. Das Land Berlin wird mit seiner „Arbeitszeitverordnung“ sogar noch konkreter und legt für seine Beamten fest, dass der Dienst grundsätzlich innerhalb eines Zeitfensters von 06:00 Uhr bis 19:30 Uhr zu erbringen ist (§4 AZVO). Der Zeitraum von 19:30 bis 06:00 Uhr ist insofern als Ruhezeit einzuhalten.
Das Land Berlin und im Fall der Lehrkräfte, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie als Dienstherr hat die Arbeit so zu organisieren, dass dies möglich ist. Abweichungen hiervon können durch den Dienstherren angeordnet werden, sofern es dringende Dienstliche Angelegenheiten erfordern (§8 AZVO). Zuständig hierfür wäre die oberste Dienstbehörde. Im Fall der Lehrkräfte ist dies die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie unter Senatorin Günther-Wünsch.
5. Deputatsmodell
Lehrkräfte haben keine klassischen 40-Stunden-Vollzeitverträge, sondern die Arbeitszeit wird nach dem sogenannten „Deputatsmodell“ bemessen. Bedeutet: es wird ein Umfang an Unterrichtsstunden festgelegt (in Berlin sind dies in Vollzeit je nach Schulform 25-32 Unterrichtsstunden je Woche) und für alle anderen Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Beruf wird unterstellt, dass sie in der Differenzzeit zwischen dem Deputat und einer 40-Stunden-Woche zu schaffen sind.
Hierzu zählen unter Anderem die Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, Korrekturen, Elterngespräche, Schülergespräche, die Vorbereitung von Klassenfahrten, die Gewährung und Umsetzung von Nachteilsausgleichen, Prüfungsvorbereitungen, die Teilnahme an schulischen Gremiensitzungen und Vieles mehr.
Dieses Deputatsmodell ist seit Langem in der Kritik, da die Tätigkeiten, die neben dem eigentlichen Unterricht anfallen, den unterstellten Zeitaufwand regelmäßig überschreiten würden. Verschiedene Studien haben dies auch bereits belegt.
6. Abminderungsstunden
Das Deputat der zu erteilenden Stunden kann vorübergehend abgemindert werden. Dies kann für zusätzlich übernommene Aufgaben erfolgen, aber auch dies ist aus verschiedenen Gründen umstritten.
Der Kampf um den Brei
Wie üblich bei Besprechungen begründet die anmeldende Fraktion den Besprechungsbedarf. Da dieses Thema von allen Fraktionen getragen wurde, hat jede Fraktion begründet. Hier in Kürze:
Franziska Brychcy (DIE LINKE): Lehrkräfte würden im Jahr durchschnittlich 100 Überstunden machen, was bezogen auf sämtliche Lehrkräfte rund 2 Mio. Überstunden sind. Sie bezog sich hierbei auf eine Studie der Universität Göttingen im Auftrag der GEW und forderte Entlastungen, um die Attraktivität des Berufs zu steigern.
Louis Krüger (Bündnis ’90/Die Grünen) stellte mit Bezug auf die Studie der Universität Göttingen dar, dass 30% der Berliner Lehrkräfte die wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden regelmäßig überschreiten würden. Er stellte die Frage in den Raum, ob es ein anderes Arbeitszeitmodell bräuchte und forderte ein Konzept für ein Pilotprojekt zur Arbeitszeiterfassung der Lehrkräfte in Berlin.
Tommy Tabor (AfD) möchte eine Entlastung der Lehrkräfte und stellte die Frage in den Raum, ob eine Arbeitszeiterfassung die Lehrkräfte wirklich zufriedener machen würde. Er kündigte auch eine Reihe weiterer Fragen an, die meisten von diesen stellte er aber später nicht mehr, da er die Sitzung (die zum Thema passend eine Stunde länger dauerte, als angesetzt) pünktlich mit Beginn der Überstunde verließ.
Die Anhörung konnte auch erst später beginnen, da es der AfD-Fraktion wichtiger erschien, sich zum wiederholten Male (dieser Wahlgang findet beinahe ritualisiert in jeder Sitzung des Ausschusses statt) von den anderen Fraktionen bestätigen zu lassen, dass sie wirklich kein AfD-Mitglied als stellvertretenden Schriftführer wählen wollen. So hat eben jede Fraktion ihre Prioritäten und zeigt ihre Wert- oder Geringschätzung für externe Sachverständige.
Maja Lasić (SPD) betonte, dass dieses Thema so drängend sei, dass sich alle Fraktionen um ein Konzept bemühen müssten, dass es aber sehr komplex ist. Sie forderte insbesondere eine „Aufgabenkritik“, also eine Diskussion darüber, welche Aufgaben zwingend von Lehrkräften erledigt werden müssten und welche Aufgaben an andere Professionen abgegeben werden könnten. In einer späteren Einlassung stellte sie dar, dass man bei der Arbeitszeitbemessung nicht nur entlang von Fächern, sondern auch entlang der Sozialindizes der Schulen differenzieren müsse und dass sie auf die sich daraus ergebenden Debatten gespannt sei.
Sandra Khalatbari (CDU) ist nicht nur Ausschussvorsitzende, sondern auch Bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und erklärte für die CDU, dass man „das Rad nicht neu erfinden“ müsse und dass es wichtig sei, zu beachten, dass die Rahmenbedingungen in den Bundesländern unterschiedlich seien. Sie möchte „versuchen, mit dieser Arbeitszeiterfassung, wie auch immer sie dann […] auszusehen hat, damit die Unterschiedlichkeiten in den einzelnen Fächern, Dokumentationen, sei es der Unterschied vom Sportunterricht zu einem Korrekturfach und so weiter, diese Dinge dezidiert in den Blick nehmen. Und wir müssen eben auch schauen, dass diese Dokumentationspflichten, wie wir sie vielleicht an der einen oder anderen Stelle haben, uns nicht zu sehr in die Pflichtnehmen. Aber notwendigerweise natürlich schon so, dass es nachvollziehbar ist, dass das nicht auch noch im System eine zusätzliche Belastung ist.“
Als externe Sachverständige waren geladen:
- Gökhan Akgün von der GEW Berlin
- Fordert eine Arbeitszeiterfassung und strukturelle Entlastungen für die Lehrkräfte.
- Die Belastungsgrenze sei bei vielen Lehrkräften überschritten.
- 64% der Lehrkräfte würden regelmäßig Überstunden machen.
- Die Arbeitszeiterfassung betrachtet er als Teil des Arbeits- und Gesundheitsschutzes.
- 70-90% der Beschäftigten hätten sich auf verschiedenen Personalversammlungen für eine Arbeitszeiterfassung ausgesprochen.
- Ein Vergleich der Studien für Berlin und Sachsen sei ein „Äpfel-Birnen-Vergleich“, da beispielsweise die Deputate zwischen den Ländern unterschiedlich sind.
- Andy Jahns, Abteilungsleiter Lehrer/Ressourcen aus dem Sächsischen Kultusministerium
- Das sächsische Kultusministerium hat eine Studie zur Arbeitszeit sächsischer Lehrkräfte beauftragt.
- Die Durchschnittsarbeitszeit läge im Jahresmittel außer bei Gymnasien bei höchstens 40h/Woche mit Schwankungsbreiten zwischen den Lehrkräften, die noch validiert werden müssen.
- Teilzeitlehrkräfte überschreiten ihre Arbeitszeit häufiger, als Vollzeitlehrkräfte. Die Gründe sind noch unklar.
- Schulleitungen lägen rund 2,6h pro Woche über dem Soll.
- Arbeiten nach 22 Uhr und am Wochenende erklärt er zum Vorteil des Berufs.
- Fabian Metzger, Schulleiter an der Albrecht-von-Graefeschule Berlin-Kreuzberg
- Hält eine Arbeitszeiterfassung und Entlastungen nicht für synonym.
- Seine Beschäftigten verbinden die Einführung einer Arbeitszeiterfassung mit der klaren Erwartung nach Entlastung.
- Eine Arbeitszeiterfassung würde ein Controlling der zu erledigenden Aufgaben erfordern.
- Ihm ist unklar, wie er mit Überstunden umgehen müsste, da der Unterricht hierfür nicht gestrichen werden könne.
- Verwaltungsaufwand würde steigen.
- Zusätzliche Aufgaben wie „Tage der offenen Tür“ könnten möglicherweise nicht mehr abgedeckt werden, weil die so entstehenden Überstunden nicht abgegolten werden könnten.
- Er schlägt multiprofessionelle Teams zur Entlastung der Lehrkräfte vor.
- Neueinsteiger nach dem Referendariat würden häufig in Teilzeit wechseln, um in ihrer Freizeit einen Grundstock an Unterrichtsmaterial anzufertigen.
- Hauseigene Personalmittel der Schulen („Personalkostenbudgetierung“) seien „ein Segen“, aber abhängig von fähigen Verwaltungsleitungen.
- Kritisiert Mikromanagementaufgaben der Schulleitungen („Kontrolle von Seifenspendern“ etc.).
- Dr. Frank Musmann von der Georg-August-Universität Göttingen
- An der Studie der Universität Göttingen haben rund 4% der Berliner Lehrkräfte freiwillig teilgenommen.
- Im Schnitt werden in Unterrichtswochen 47,15 Stunden pro Woche gearbeitet.
- 30% der Vollzeitlehrkräfte arbeiten in Unterrichtswochen über 48 Stunden und überschreiten damit die Arbeitsschutzrichtlinien. Der Landesarbeitgeber verletze seine Fürsorgepflichten.
- Er konstatiert eine hohe emotionale Belastung der Lehrkräfte und eine zunehmende Erschöpfung.
- Bei Schulleitungen ist die Arbeitsbelastung noch höher.
- Schlägt multiprofessionelle Teams zur Entlastung vor.
- Eine Senkung des Deputats würde den Personalbedarf erhöhen.
- Fordert mehr Wertschätzung für den Beruf, auch zu mentalen Entlastung.
- Die Arbeitszeiterfassung betrachtet sie nicht als Beitrag zur Entlastung.
- Empfiehlt dem Land Berlin eine Pilotstudie zur Arbeitszeiterfassung und eine Erfassung der Nettoarbeitszeit (Lediglich die Erfassung von Dienstbeginn und -Ende).
- Kathrin Wienczek, Schulleiterin und Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes Landesverband Berlin-Brandenburg e.V.
- Das Deputatsmodell sei nicht realistisch
- Überstunden gingen an die Gesundheit
- Die „Vertrauensarbeitszeit“ (die Stunden zwischen dem Deputat und der Vollzeitarbeit) sei ein Wettbewerbsvorteil.
- Die Vertrauens-Arbeitszeit sei schwer zu erfassen.
- Auch gäbe es Fächer mit mehr und mit weniger Korrekturaufwand.
- Eine Differenzierung der Deputate entlang von Fächern gäbe es in Hamburg. Dort sei diese unbeliebt.
Senatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) erklärte in ihrer einleitenden Stellungnahme unter Anderem: „Es sind die Worte gefallen: Arbeitszeiterfassung, Arbeitszeitmodell, Arbeitsbedingungen, verbunden mit dem Wort Entlastung und allgemein das Thema Lehrkräfte, Beruf, Attraktivität. Ich finde es ganz wichtig in der jetzigen stattfindenden Debatte, dass wir wirklich ganz klar auf die Begrifflichkeiten schauen und sie nicht synonym verwenden. Es ist gerade schon das erste Mal formuliert worden, dass eine Arbeitszeiterfassung, ich meine, es war Herr Krüger, nicht zwingend mit einer Entlastung einhergeht, sondern dass das zwei unterschiedliche Paar Schuhe sind.“
Deutungen und Umdeutungen
Entgegen der Darstellung der Senatorin sind Entlastung und Arbeitszeiterfassung keine zwei „unterschiedliche Paar Schuhe“, sondern zwei Seiten der selben Medaille. Die Arbeitszeiterfassung einerseits und die Entlastung der Lehrkräfte um die Stunden, die über dem gesetzlich Zulässigen liegen andererseits, sind der Auftrag, der sich aus geltendem Recht und der Rechtsprechung von EUGH und Bundesarbeitsgericht ergibt. In einem späteren Redebeitrag stellte sie dar, dass die Arbeitszeiterfassung die Flexibilität der Lehrkräfte einschränken würde, ihren Arbeitstag selbst zu strukturieren.
Senatorin Günther-Wünsch weiter
„Und ich als ehemalige alleinerziehende Mutter von drei Kindern gebe Ihnen vollkommen Recht, das ist attraktiv, abends 22 Uhr oder am Wochenende was zu machen.“ […] „Und wenn wir es erfassen (die Arbeitszeit, Anm.), das müssen wir uns alle sagen: weder Wochenendarbeit ist möglich, noch diese späte Abendarbeit, noch, dass man früh vielleicht um fünf aufsteht und früh noch was macht, einfach weil man, jemand ist, der auch gerne morgens aufsteht.„
Jedoch: all das ist auch jetzt bereits unzulässig und verstößt auch ohne Arbeitszeiterfassung gegen geltende Arbeitsschutzregelungen. Als Dienstherrin ist sie in der Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass die Notwendigkeit für die genannten Arbeitszeitverstöße nicht mehr passieren und passieren müssen.
Weiter: „Und ja, es ist wirklich attraktiv. Und ich hatte viele Kolleginnen und Kollegen, die haben nicht nur die Kinder, sondern es kommt der nächste Lebensabschnitt, wo man seine Eltern vielleicht auch pflegt. […] und als (ehemalige, Anm.) stellvertretende Schulleiterin mit 1300 Schülern und 150 Kollegen weiß ich auch, was das heißt,einen Plan zu sprengen. Da sagen mir Kolleginnen und Kollegen, ‚gib mir 2 Tage, wo ich vielleicht später komme, oder eher gehen kann, damit ich den Pflegedienst empfangen kann und mit meiner Mutter und meinem Vater das und das machen kann. Und mir tut es überhaupt nicht weh, wenn ich, Entschuldigung, wenn ich das dann abends oder am Wochenende mache.‘ Und das werden Sie in keiner anderen Berufsgruppe haben, diese Flexibilität.“
Umdeutungen
Die Senatorin erklärt im Parlament die ihr und ihrer Verwaltung obliegende Pflicht zum Arbeitsschutz der Mitarbeitenden zur individuellen Entscheidung der Beschäftigten und verklärt die Entgrenzung von Arbeitszeit und Freizeit zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Sie erklärt, dass Verstöße gegen Ruhezeiten ein Qualitätsmerkmal des Lehrkräfteberufs seien und dass es scheinbar eine gute Sache ist, Abends um 22 Uhr und am Wochenende nochmal arbeiten zu können, nachdem man seit 5 Uhr Morgens Kinder und zu pflegende Eltern umsorgt und über den Tag vor der Klasse gestanden hat.
Es handelt sich hierbei um die Auffassung der obersten Dienstherrin von rund 35.000 Lehrkräften, die für die Bildung von rund 400.000 Schülerinnen und Schülern zuständig sind.
Eine Bildungssenatorin deutet im Parlament die ihr obliegende gesetzlich verankerte Fürsorgepflicht um und erklärt deren Verletzung zum Wettbewerbsvorteil.
Als Vater wünsche ich mir Lehrkräfte, die ausgeruht vor ihre Klasse treten können und als Arbeitnehmer würde ich einen Vertrag auf dieser Grundlage nicht unterschreiben. Als Bürger bin ich sprachlos, wie „meine“ Landesregierung mit ihren Beschäftigten umgeht.
Weiterhin erklärte die Senatorin: „Ich bin auch bei der Arbeitszeiterfassung sehr, sehr vorsichtig. Der Sportlehrer steht irgendwie immer im Fokus und gleich danach kommt Kunst und Musik. Ich sage es jetzt mal als naturwissenschaftliche Kollegin: wir korrigieren vielleicht schneller Mathe, aber wenn Sie Chemie und Physik noch unterrichten, dann lade ich jeden ein, Experimente vorzubereiten und nachzubereiten. Und dann haben Sie den Kollegen, der vielleicht die acht Seiten Klausur korrigiert, relativ schnell wiedereingeholt.
Hier scheint es eine unterschiedliche Auffassung zwischen der Senatorin und ihrer Fraktion zu geben, wenn man sich die Stellungnahme von Frau Khalatbari anschaut.
Weiterhin: „Das gefährdet extrem den Schulfrieden. Ich möchte nicht in dem Klassenzimmer vermitteln, da brauchen Sie so viele Mediatoren, wenn Sie, sagen „welches Fach hat eigentlich eine andere Wertschätzung verdient?“ Das ist auch nichtrichtig. Also sind wir mal ganz ehrlich, es ist schlichtweg nicht richtig.“
Die Senatorin deutet hier Fragen der Arbeitsorganisation und des gesetzlich verankerten Gesundheitsschutzes der Beschäftigten zu einer Frage um, die individuell zwischen den Beschäftigten verhandelt würde und behauptet ohne Bezug zur vorangegangenen Debatte, dass es um die Wertschätzung zwischen Fächern ginge. Jedoch geht es hier um den Gesundheitsschutz, den sie als Dienstherrin für alle zu gewährleisten hat. Es geht um eine gleichmäßige Arbeitsverteilung zwischen Beschäftigten. Dies ist eine Frage der Arbeitsorganisation, wie sie sich jedem Unternehmen täglich stellt.
Des Weiteren führte die Senatorin aus:
„Frau Kittler, von Ihnen kam noch die Frage: Entlastung bei Kollegen mit Kleinkindern? Ich glaube, dann machen wir eine gesellschaftspolitische Debatte auf. Ich hatte gerade schon ein paar andere Berufsgruppen angeführt. Nee, ich sage Ihnen ganzehrlich, was antworten Sie denn der Krankenschwester? Soll die keine Kinder bekommen oder soll die in den sauren Apfel beißen?
Was antworten wir denn der Kollegin, bei der Sie danach einkaufen geht ab 13 Uhr? Und die hat vielleicht auch kleine Kinder? Ich finde, diese hohe Flexibilität ermöglicht schon viel in diesem Beruf und in dieser Branche im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen. Wir sollten lieber darauf schauen, dass wir dieses Thema Belastung ernst nehmen.“
Die Antwort der Senatorin auf die Frage, ob es möglich wäre, Lehrkräfte mit kleinen Kindern im Deputat zu entlasten (Regina Kittler, DIE LINKE) ist das Gegeneinanderstellen von Berufsgruppen. Die Antwort ist die Feststellung, dass man eine „gesellschaftspolitische Debatte“ über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch in anderen Berufsgruppen nicht führen wolle.
Warum eigentlich nicht?
Wäre nicht genau das die Aufgabe einer Familiensenatorin?

